In Tønder, Südjütland
Der Kollege sei schuld. Deswegen läuft Frank Clausen nun in den Wochen vor Weihnachten durch Tønder (sprich: tönner). Eine dankbare, wenn auch zeitaufwändige Sache. Aber es freut ihn einfach, wenn er Kinderaugen zum Strahlen bringen kann. Und nicht nur die. Erwachsene jeglicher Altersklasse haben es auf ein gemeinsames Foto mit Julemanden abgesehen. Sogar eine Austauschstudentin aus Taiwan kommt vorbei. Sie fühlt sich geehrt und verneigt sich nach dem Foto.
Auf Dänisch, Deutsch und Englisch sprechen Einheimische und Besucher:innen den Weihnachtsmann an. Eigentlich verdient sich Frank seine Brötchen als Postbote. Womit wir wieder bei besagtem Kollegen wären, der nämlich als Vorgänger in Tønder amtierte. 25 Jahre lang hat er Julemanden gespielt. Plötzlich meinte er: „Ich höre auf.“ Und Frank entgegnete: „Was? Wer macht dann den Weihnachtsmann?“
„Du!“, sagte der Kollege im Brustton der Überzeugung. Dieser vermeintlichen Logik konnte Frank nicht gleich folgen. Obschon die Verantwortlichen von „Julebyen Tønder“, also der Weihnachtsstadt Tondern, ihm gleich einen 25-Jahres-Vertrag anbieten wollten, entschied er sich zunächst für ein Jahr. Probeweise. Darauf folgte ein weiteres. Und noch eins. Nun ist es sein 30stes, über Verträge spricht keiner mehr.
Das obligatorische „Hohoho“ kommt ihm authentisch über die Lippen. Meist in angenehmer Lautstärke, Julemanden will schließlich niemanden erschrecken. Dass es manchmal doch passiert, liegt eher am ungewöhnlichen Outfit und der stattlichen Erscheinung mitsamt Bart. Kleine Kinder können das manchmal nicht einordnen.
Selfies mit Julemanden
Ab einem gewissen Alter kommen sie von selbst, die Eltern halten sich im Hintergrund. Manche sind schüchtern, einige lächeln sofort, andere am Schluss. Auch die Eltern freuen sich. Und die Freunde des Weihnachts-Selfies. So läuft Frank donnerstags und freitags von 15 Uhr bis zum Geschäftsschluss durch die Stadt, an den Wochenenden schon früher. Immer den roten Sack geschultert, der Süßigkeiten enthält.
Doch es geht nicht nur um kleine Gaben. Einmal kommt ein Junge in Begleitung seiner Mutter und überreicht Frank einen Zettel. Er hat Fragen, essentielle Weihnachtsfragen. A) Warum können nicht alle Kinder Julemanden an Weihnachten sehen? B) Was tun, wenn die Weihnachtswichtel, also Julenisser, es gar zu bunt treiben mit ihrem Schabernack?
Der Weihnachtsmann weiß Antwort. An Weihnachten hat er viel zu tun, da verpasst man sich schon mal. Und die Julenisser unterstehen ihm, so kann er sich um Beschwerden gleich kümmern. Der nächste „Kunde“ ist im Anmarsch, ein Kind würde den geschenkten Lutscher gerne umtauschen. Da es lieb fragt, zückt der wohlwollende Weihnachtsmann ein Tütchen mit Gummibärchen aus dem Sack. „Nicht jeder mag alles“, meint Frank.
Der fliegende Weihnachtsmann
Außerdem steigt der Weihnachtsmann von donnerstags bis sonntags in den Schlitten. Um 16 Uhr starren die auf dem zentralen Platz Torvet versammelten Leute nach oben. Was passiert? Rechts hinter dem Dach des Eckhauses sind die Profile zweier Rentier-Attrappen zu sehen. „Jingle Bells“ erklingt zur Einstimmung, und jemand macht eine Ankündigung über den Lautsprecher. Über dem Dach tut sich… nichts. Nach einer Weile verstummt die Musik, jetzt muss es losgehen.
Frank ist schwindelfrei, eindeutig. Die Landung klappt nicht gleich beim ersten Mal, ein bisschen Dramaturgie muss ein. Derweil dürfen die Zuschauer:innen „Winkewinke“ machen. Dann tönt es von Dach: „Landing, controlling, landing, controlling…“ Der Weihnachtsmann hat es im zweiten Versuch geschafft und erzählt nun auf Dänisch etwas von den Rentieren und seiner weiten Reise.
Er ist doch nur ein paar Stockwerke hoch gelaufen! Ach, vergessen wir einfach, dass wir ihn zuvor in der Stadt gesehen haben. Julemanden muss diese Geschichte erzählen. Sonst würde es ja keinen Sinn machen, überhaupt aufs Dach zu steigen. Die Aussicht von oben muss nett sein. Ob Frank seinen Nebenjob irgendwann auch an einen Kollegen weiterreichen will? Oder an eine Kollegin? Eine Weihnachtsfrau als Nachfolgerin, Julekone. Ganz ohne Rauschebart.
Die Stimmung
Tønder beginnt schon Anfang November, sich in eine Weihnachtsstadt zu verwandeln. Was sich nicht durch eine Vielzahl von Ständen ausdrückt, wie man es von deutschen Weihnachtsmärkten kennt. Auf dem Torvet in unmittelbarer Nähe zum Klostercafeen sind ein paar Buden aufgebaut. Es gibt Gløgg, Æbleskiver, Waffeln, Schokolade. Auch wird Weihnachtsdeko verkauft. In der Mitte des Platzes ragt eine Tanne empor, daneben eine kleine Rutschbahn für Schlitten, die ganz ohne Schnee funktioniert.
Doch ist Tønder selbst die Julebyen, die perfekte Kulisse mit seinen alten Gemäuern, dem Kopfsteinpflaster, den zahlreichen Lichtern, offiziellen wie privaten. Manchmal kommt ein bisschen Glück hinzu. In der Nacht vor meiner Ankunft hat es geschneit, weiße Häufchen liegen wie gemalt auf Tannen, Bänken, Mauern.
Nachmittags kriecht der Nebel über die Felder, nach Sonnenuntergang fällt er über die Stadt wie ein Weichzeichner. Im Schein der Laternen gehe ich zurück ins Hotel, spüre die Kälte, sehe die Atemwolken. Schneereste auf Rädern, erhellte Fenster, Hygge in den Häusern. Die Stadt leert sich. Um 17 Uhr schließen die Geschäfte, werden die Bürgersteige hochgeklappt. Nur noch vereinzelt sind Leute unterwegs, kein „Hohoho“ schallt mehr durch die Straßen. Manchmal das Klappern von Schritten. Und die Hauswände, teils schief und voller Geschichten, strahlen etwas aus. Geborgenheit.
Text und Fotos: Elke Weiler