Das Guggenheim Museum in Bilbao
Zwei Dinge haben mich ins Baskenland gezogen, hundert neue habe ich entdeckt. Das Guggenheim Museum in Bilbao will ich schon seit langem sehen und dann die legendären Pintxos im Original probieren, auf die ich in Barcelona während einer Tapas-Tour gestoßen bin. Doch später mehr über die baskischen Häppchen, die eigentlich keine sind.
Es ist Sonntag, der vorletzte Tag meiner baskischen Reise. Ein grauer Tag, und doch leuchtet es mitten in Bilbao. Dort, wo der Fluss Nervión einen kleinen Schlenker macht. Das Guggenheim Museum glitzert zwischen herkömmlichen Bauten. Ein Geschiebe der Formen aus spiegelndem Titanzink. Ein Material, das ansonsten im Flugzeugbau verwendet wird.
Der nach zwanzig Jahren im städtischen Gefüge immer noch exotisch wirkende Körper erinnert an ein Ufo, das kürzlich gelandet ist. Ein Ufo, das sich zum Fluss hin öffnet. Mit jenem hochgezogenen Baldachin, der auf einer schlanken Säule ruht, der Schwerkraft zum Trotz. Auf allen Seiten variieren die Ufoansichten. Die Architektur entwickelt in ihrer Vielschichtigkeit eine Dynamik, etwas geradezu Explosives, als stünde sie kurz vorm Zerbersten.
Wenn ich ein Stück Papier zerknülle, landet es auf dem Boden oder im Papierkorb. Bei Frank Gehry hingegen bekommt es ein Eigenleben. Zerknülltes Papier inspiriert ihn, den Meister dekonstruktivistischer Architektur. Gerade bauen kann schließlich jeder, zumindest viele. Denn fast alle Häuser, die wir tagtäglich sehen, sind im rechten Winkel erbaut.
Den Dekonstruktivisten geht es darum, herkömmliche Strukturen und Formen zu zerstören und neu zu bilden. An ein dreidimensionales Puzzle erinnert das Ergebnis nicht selten. An Bauklötze unterschiedlicher Formen, die, wie durch Zufall zusammengefügt, die Statik vielfach verneinend. Reicht es, der Inspiration zu folgen und kühn zu entwerfen? Heute eher als in Gehry Anfangszeiten als Architekt.
Gehry spielt immer noch
Als Kind hat er mit Großmutters Holzscheiten gespielt, die für den Ofen bestimmt waren. Als 87-Jähriger baut Gehry immer noch Modelle aus Holzklötzen, Karton und zerknülltem Papier. Entwirft zunächst Skizzen mit Stift auf Papier, seinem Gedankenfluss folgend, geht er doch mit kindlicher Unbeschwertheit ans Werk.
Bei der Umsetzung seiner Idee hilft ihm eine Computersoftware, die eigentlich in der Luftfahrttechnik eingesetzt wird. Hiermit kann der Architekt den Entwurf in die Realität übersetzen, Angaben für Geometrie und Statik errechnen lassen, je nach Materialwahl. Doch von all dem weiß ich nichts, als ich vor dem Raumschiff in Bilbao stehe.
Umso größer ist mein Staunen. Ist das Guggenheim Museum wie eine aufgeblasene Hülle, deren Form ich nicht begreife? Die mich aus jedem Blickwinkel aufs Neue verwirrt? Wird innen alles wieder gerade und überschaubar sein? Wird es dort ebenso glänzen wie diese graue Hightech-Hülle, die aus unzähligen Einzelteilen besteht, die zusammen eine Art Rumpf bilden wie die Schuppen eines Fisches.
Immer wieder der Fisch
Apropos. Mein Audioguide verrät mir, dass Frank Gehry als Kind von glänzenden Fischlaibern fasziniert war sowie von den flüssigen Bewegungen der Fische. Ein Fließen, das scheinbar Teil seines Schaffensprozesses und vor allem Teil seines Werkes ist. Immer wieder tauchen Fische auf, mal andeutungsweise, mal unverblümt.
Etwas Nacktes hat die Außenhaut. Etwas Glattes, von dem der Blick abrutscht, weiter fließt. Doch Titanzink fühlt sich weniger glatt an, als es aussieht. Gleichzeitig nimmt das Material Bezug auf den Fluss, hat etwas von der Spiegelkraft des Wassers. Kann plötzlich dunkel werden, ganz nach Laune des Himmels.
Auch wenn ich verwirrt bin, ist es doch eine willkommene Verwirrtheit. Viel zu angenehm, zu ästhetisch wirkt das Gesamtwerk. Wie geht es also im Innern weiter? Ich erwarte keine geraden Linien, doch eine Steigerung der Verwirrung noch viel weniger. Eine leichte Zurücknahme der Komplexität, das hätte ich erwartet.
Doch es kommt anders. Die heiligen Hallen des Kunsttempels muss man sich langsam erarbeiten, vergleichbar mit einer Höhle und ihren unzähligen Abzweigungen, Gängen, Nischen – wie eine Art Tanz der Formen und Volumina. Nichts ist einfach. Eine scheinbare Wand endet in der Luft, schwingend wie ein Vorhang. Ein Segel aus Glas und Stahl wölbt und verjüngt sich nach oben. Und alles hängt irgendwie zusammen.
Mehr als eine Landmarke
Das Atrium ist der Schlüssel, die höchste Stelle des Gebäudes, das Bindeglied. Ich nehme den Aufzug, doch weiter als bis zum dritten Stock komme nicht. Vielleicht irgendwo anders? Ich laufe hier- und dorthin, steige in einen anderen Aufzug. Ein Junge, der ebenfalls auf den Trick des Komponisten dieser Räumlichkeiten hineinfällt, steht neben mir, und wir schauen uns ratlos an, grinsen, zucken mit den Schultern. Es gibt nur noch luftige Treppen, die nach oben führen und für das Publikum gesperrt sind.
Die diversen Ausstellungen des Museums gehen nicht ineinander über, sie bilden in sich ruhende, selbständige Einheiten, jede einen Besuch wert. Angefangen bei den überdimensionierten Stahlplastiken von Richard Serra im Bauch eines Fisches oder besser Wales, den ein Gebäudeteil ausformen will. Eine Dauerausstellung, für die eine organisch geformte Raumhülle und der von Serra definierte, schwingende Raum Hand in Hand gehen.
Meine Aufnahmekapazität, mein Eroberungsdrang sind für heute gesättigt, doch ich muss wiederkommen. So oft, bis ich alles verstanden habe. Gehry hat mit dem Guggenheim Museum mehr als eine Landmarke und ein Symbol für Bilbaos Wandel von der Industrie- zur Kulturstadt geschaffen. Dieses bizarre Architekturstück mit seinen kapriziösen Formen ist voller Leben.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an das Baskenland und Spanien Tourismus, die meine Reise unterstützt haben.
Architektonische Poesie, poetische Architektur oder wie auch immer. Wunderbar!
Und du kannst es in Worte fassen. So schön
Danke, liebe Simone!! Bei solchen Gebäuden geht einem ja das Herz auf.
Nur wenn ich inspiriert bin!!
Toll geschrieben , tolle Architektur ,tolles Essen
Danke!! Ja, das Essen, darüber schreibe ich noch!
mich zieht auch es nach bilbao, die flüge sind etwas ungünstig, das vitra design museum bei Basel ist auch von Frank Walter Gehry , sowie der Würfel auf dem Novartis Campus in Basel.
Von wo fliegst Du denn?
Nach Basel will ich auch schon ganz lange!
Meerblog Basel ist vielleicht besser mit dem Zug
Hamburg
Ja, das schau ich mir mal an.
vom flughafen basel ist man in 20 minuten beim bahnhof sbb. wenn du rechtzeitig bei der Bahn schaust , kannst du die sparpreise buchen. ich fahr im august nach HH mit dem zug, sparpreis 19 euro einfache strecke.
Klasse Elke! Ich möchte dort auch schon ewig hin. Faszinierende Bilder, tolle Story! Liebe Grüße, Jutta
Danke, liebe Jutta! Das war ein bisschen back to the roots. :-) Und ich hatte natürlich viel zu wenig Zeit. Da liegen Geschichten im Baskenland!!! Liebe Grüße!
Zum ersten Mal mit dem Museum in Kontakt gekommen bin ich tatsächlich durch die Serie Simpsons. Danach erst einmal gegoogelt wieviel die Darstellung aus Simpsons mit der Realität zu tun hat. Ich würde es auch gerne mal live sehen, interessanter Beitrag und schöne Bilder. Die Architektur ist wirklich besonders :)
Wirklich ein wunderbarer Artikel. Anfangs mochte ich dieses „Gebäude“ nicht, ich war zu Besuch in Bilbao und habe es mir bewußt nicht angesehen. Ein paar Jahre später hat es mich doch interessiert und als ich vom Flughafen mit dem Bus in die Stadt fuhr und das Museum in gleißendem Sonnenlicht vor mir lag, hat es mir fast den Atem geraubt – ich finde es so beeindruckend, immer wieder! Du hast das sehr gut beschrieben!!! Danke dafür!
Das freut mich sehr, danke dir! :-)
Toll sicherlich einen Besuch wert!
Absolut!
Toller Artikel!
Genau so erging es mir auch, als ich 2011 das erste Mal dort war! Die Architektur ist einfach grandios und auch die Ausstellungen waren ungewöhnlich und toll!
Ich muss Bilbao wohl demnächst noch einmal auf meine Reiseliste setzen ;)
Grüße
Céline
Danke, Céline, und viel Spaß bei deinem Vorhaben! Grüße von der Nordsee!
Ich war auch begeistert von der Architektur. Es wird nicht langweilig aus allen möglichen Winkeln immer wieder ein „neues Gebäude“ zu sehen.
Nur reinschauen muss man wirklich nicht, außer man steht total auf „moderne Kunst“.
Hi Florian, findest du? Ich war überrascht, wie die Architektur von innen wirkt. Für die Ausstellungen hatte ich dann allerdings nicht mehr den Kopf frei. Aber Museen haben allgemein diese Wirkung, dass ich mich verloren fühle, wenn ich mir nicht ein paar Dinge herauspicke…
Also das Guggenheim find ich extrem komisch. Ich kann mit solcher Kunst einfach nix anfangen. In den einen Raum bin ich damals nicht rein gegangen weil ich dachte es wird gerade renoviert. Überall Farbeimer und ein großer Haufen Bauschutt. Hat sich rausgestellt das ist ein Exponat. ;)
Von Außen muss ich dir recht geben, sieht aus wie ein Ufo, dass macht es irgendwie cool.
So kann das gehen! :-) Ich kam vor lauter Architektur kaum dazu, mich auf Ausstellungen zu konzentrieren. Aber der Raum, der quasi für die Stahlskulpturen von Serra eingerichtet ist, war schon klasse…
Faszinierende Bilder und schöne Worte dafür gefunden. Ich kann mit dieser modernen Architektur ja eigentlich wenig anfangen, aber jetzt hast du es tatsächlich geschafft, dass ich aufhorche und mir denke „Hui, ist ja doch ganz spannend“. ;)
LG aus Brixen Südtirol
Danke, Dani, das freut mich sehr! Liebe Grüße von der Nordsee!
Du beschreibst das Guggenheim Museum einfach super gut !! Da habe ich gleich Lust, es auch zu besuchen. Aber wir sind gerade eher weit weg… Es hat mich ein bisschen an die Bohne in Chicago erinnert, wobei die natürlich viel kleiner ist und man auch nicht hineingeht.
Danke, liebe Martina! Und die Bohne in Chicago muss ich mir direkt mal anschauen. Chicagos Architektur war mal Thema an der Uni, damals… ;-)