„So’n bisschen fröhlicher Gesang, das ist gut für die Seele, das muntert auf“, prophezeit die ältere Dame mit leicht angekratzter Stimme, als wir uns mitten in Büsum begegnen. Sie will wohl neue Mitglieder für den Nordseechor anwerben. Zwar glauben wir ihr aufs Wort, wollen uns jedoch erst ein wenig in Büsum umsehen, bevor wir neue Engagements zusagen.
Ein paar Mal war ich schon hier, kenne aber nur die Fußgängerzone, den Hafen und vor allem die Schiffe nach Helgoland. Mehrmals hören wir nun, dass Büsum mal eine Insel war. Heute schwer vorstellbar. Vor allem in einem warmen Sommer wie diesem, da scheint Büsum aus allen Nähten zu platzen. Der Nabel der Welt, respektive Dithmarschens.
Mit der Verlandung des Wardamms, der das ehemalige Eiland mit dem Festland verband, dockte die Insel an. Und so liegt das Städtchen auf der Landkarte am äußersten Zipfel der Region. Büsums Silhouette ist geformt vom Hafen, dem alten und neuen. Vom Deich, dem frisch gebauten Klimadeich. Vom Hochhaus aus den 70er Jahren, das jeder am liebsten in die Tasche stecken oder sonst irgendwie verschwinden lassen würde.
Zwei der jungen, barfüßigen Freiwilligen von der Schutzstation Wattenmeer klären uns diesbezüglich auf: Damals hatte man nämlich den kühnen Entschluss gefasst, noch mehr von jenem Hochhaustypus direkt an die Küste zu bauen. Doch glücklicherweise ist der Boden hier zu sandig, als dass er die Bauvorhaben zugelassen hätte.
Wir stehen auf der Kirchwarft, dem höchsten Punkt Büsums, der einst bei Sturmflut Zuflucht bot. Immer wieder kam es zu Überflutungen, zuletzt im Februar 1825, also kurz nachdem es mit dem Fremdenverkehr in Büsum losging. 1818 standen die ersten Badekarren am Strand, und in der ersten Badeanstalt von 1837 gingen Frauen und Männer noch getrennt und vollbekleidet ins Wasser.
Sie befand sich genau dort, wo nun der Deich Hafen und Stadt voneinander trennt. Momme Claussen vom „Museum am Meer“ erzählt uns mehr über die Büsumer Fischer, deren Reetdachhäuser heute nicht mehr existieren. „Die Fischer der ersten Generation haben viel Geld mit Fisch und Krabben gemacht und dann die alten Katen abgerissen und in den Tourismus investiert.“
Seitdem hat Büsum zwar an touristischer Bedeutung gewonnen, es steht nach Sankt Peter-Ording und Westerland auf Platz 3 an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, wenn es nach Übernachtungszahlen geht. Doch die Kutterflotte ist immer noch die größte der Gegend. Und wenn ein Hafen aufgegeben wird, wie zuletzt in Friedrichskoog, ziehen die verbliebenen Fischer nach Büsum.
An die 20 Boote liegen im Hafen, dem größten nach Brunsbüttel an Schleswig-Holsteins Nordseeküste. Und Büsumer Krabben sind ebenso wie Scholle nach Büsumer Art weit über die Grenzen Dithmarschens bekannt. Im Hafen verkauft Hanne die Nordseegarnelen, die ihr Mann frisch gefangen hat. Acht Euro das Pfund zum Selberpulen, das ist viel schöner als fertig und konserviert, wenn auch aufwendiger.
Aber wer mal im Familien- oder Freundeskreis Krabben gepult hat, weiß, was ich meine. Ein Wettstreit entsteht, und wer die meisten schafft, wird logischerweise Krabbenkönig/in. Wir durften jedenfalls im Hotel „Zur Alten Post“, dem ältesten am Platze, die Krabben für unser Mittagsbrot eigenhändig aus dem Chitinpanzer lösen. Mit mehr oder weniger geübtem Griff.
Königin wurde übrigens eine Berlinerin, obschon eine Hamburgerin, zwei Dithmarscher und zwei Nordfriesinnen mitgepult haben! Ob der Menge ihres Ergebnisses befürchtet sie allerdings einen Eiweißschock. Angeleitet wurden wir von der original Dithmarscherin Andra Hansen, die gemeinsam mit ihrem Partner Patrick Kebekus die Leitung der „Alten Post“ von ihren Eltern übernommen hat.
Hier trifft nun Alt auf Neu: Man kann im Altbau von 1889 oder im gegenüberliegenden Neubau von 2017 übernachten. Dort schlafe ich mit Blick auf die Kirche. Glockengeläut vermittelt mir Geborgenheit, das ist einfach so. Und Erinnerungen an meinen Geburtsort, wo wir gegenüber einer Kirche gewohnt haben. Sankt Clemens in Büsum gehört zu jenen historischen Kirchlein an der Küste, in denen man sofort heiraten würde.
Wir hingegen widmen uns dem Eiergrog, dessen Geschichte in Büsum eng mit der „Alten Post“ verbunden ist. Beziehungsweise mit Andra Hansens Urgroßmutter. Diese war einst bei schlechtem Wetter mit Pferd und Wagen unterwegs zur Tante nach Schafstedt. Und letztere bereitete einen Eiergrog zu, der die Nichte nicht nur aufmuntern, sondern auch aufwärmen sollte.
Andras Uroma führte daraufhin den Eiergrog in Büsum ein, der warm getrunken wird und aus Eigelb, Zucker, ein bisschen Eiweiß, Rum und heißem Wasser besteht. Dabei ist die Konsistenz der Zucker-Ei-Masse essentiell, sie darf nicht zu flüssig werden. „Bei der Zubereitung muss man Ausdauer mitbringen“, weiß Andra Hansen. Die Zeit des Rührens mache den Unterscheid. Dreht man die Zucker-Ei-Masse um, darf nichts aus dem Glas fallen.
Immerhin sind vier Zentiliter weißer Rum in einem Grog enthalten, der langsam eingerührt und dann mit heißem Wasser aufgeschlagen wird. Beliebt ist der Grog vor allem im Winter, doch uns schmeckt er ausnahmsweise auch an jenem heißen Sommertag. Danach treffen wir nämlich Momme, der auch ohne Grog den vollen Büsumer Humor entfaltet.
„Da gibt das jedes Mal Aquaplaning auf der Zunge“, lautet sein Kommentar zu Krabben. Auch über Matjes erzählt er gerne. Und über Büsums Veränderungen. Das heutige Casino am Hafen sei einmal eine Diskothek gewesen. „Damals hatten wir noch eine Jugend“, trauert er alten Zeiten hinterher. Mit dem Ende der Werft 1986 sei ein demographischer Wandel eingeleitet worden.
Die Jungen seien weggezogen. Zuzug gäbe es in dem 4800-Seelen-Ort zwar, doch darunter viele, die im Rentenalter noch mal neu an der Küste anfangen wollten. Daher verfüge Büsum über einen relativ hohen Altersdurchschnitt. Doch alles ist im Umbruch. So wie Andra und Patrick neuen Wind und neue Ideen in die „Alte Post“ tragen, so verändert sich ganz Büsum.
Als da wäre die Familienlagune in der Perlebucht oder neue Hotels wie das „Lighthouse“ am Alten Hafen, ein Ableger der Beach Motels in Sankt Peter-Ording und Heiligenhafen. Neue Restaurants eröffnen, und die „Alte Post“ ist um eine loungige Vinothek reicher geworden, für die Weinkenner Patrick Kebekus die Weine probiert und ausgewählt hat.
Und neben der Kutterregatta im Sommer sowie dem traditionellen Wattlaufen mit Musik, das in Büsum seit über 100 Jahren praktiziert wird, zieht das Städtchen nun auch jüngeres Publikum durch Festivals wie „House am Meer“ an. Mein Ding wäre ja eher das Wattlaufen mit Band. Auch im Winter muss ich noch mal wiederkommen. Nicht nur wegen des Eiergrogs.
Ich mag die Stille der Badeorte in der kalten Jahreszeit. Wenn man sich bei Ebbe ganz auf das Wattknistern konzentrieren kann.
Text und Fotos: Elke Weiler
Ich habe Büsum im Rahmen einer Pressereise auf Einladung des Hotels „Zur Alten Post“ erlebt – danke dafür! Übrigens war ich auch zum Baden in Büsum.
Ach, ich war schon viel zu lange nicht mehr da… Überhaupt, seit meine Eltern nicht mehr in Schleswig-Holstein wohnen, bin ich chronisch mit Meer unterversorgt. Um so schöner, bei Dir immer davon zu lesen <3
Danke, liebe Tanja! Wenigstens hast du Holland ums Eck. Wir waren damals so in zweieinhalb Stunden an der Küste, was zu manch genialem Tagesausflug geführt hat, der mit windzerzausten Haaren und Salz auf der Haut endete. Einmal sogar bei einer Grenzkontrolle, wie gestrandet müssen wir ausgesehen haben? :-))) Liebe Grüße, Elke
Ist schon ein tolles Menü Krabben mit Spiegelei und dazu ein eiergrog
Die Krabben musst du aber selber pulen. :-) :-) :-)
Warum sagen alle Krabben ? Krabben sind doch Krebse.
Die kleinen Würmer heißen Granat !
Ich verstehe nicht, dass auch Insider diesen Fehler begehen ?
Das widerspricht sich nicht. Nordseegarnelen oder Nordseekrabben heißen auch Porren oder Granat.