Ein Tag in Straßburg
Wenn ich Lust verspüre auf die leckerste Tarte flambée der Welt, dann ist es soweit: akute Straßburg-Sehnsucht. Fast hätte ich dort mal gelebt. Stattdessen blieb ich auf der anderen Rheinseite hängen: ein Job in Offenburg.
Aber viele pendeln Tag für Tag über den großen Fluss – in beide Richtungen. Ich habe mir die Straßburg-Besuche für die schönen Zeiten aufgehoben, ohne Stau. Für die Wochenenden. Ein Besuch im Straßencafé. Sommer an der Ill, mit Tartine und Café au lait.
Oder Bredeles in der Weihnachtszeit, Plätzchen mit Orange und Zimt, mit Butter-Schwerpunkt oder Anis. Ein Glühwein auf dem Markt zwischen mittelalterlichen Häusern. Und nachher eines der deftigen Sauerkraut-Gerichte: Choucroute, sehr gesund.
Aber am schönsten war es eben doch im Sommer. Einmal angekommen, parkte ich meine Ente – passend zum Land – an der Post oder in einer Seitenstraße. Und los. Im historischen Zentrum ist nämlich alles zu Fuß zu erreichen: Münster, das alte Gerberviertel Petite France sowie das ehemalige jüdische Viertel.
Was viele nicht wissen: Ein dichtes Netz von Fahrradwegen durchzieht die Stadt. Laut offiziellen Aussagen ist es mit 500 Kilometern das größte Frankreichs. Auf zwei Rädern lässt sich die Europastadt mit ihren Kanälen, Parks und Gassen an einem Tag locker erradeln. Auch eine Alternative: Inline-Skates ausleihen oder mitbringen.
332 Stufen
Heute laufen wir. Erst mal zum Liebfrauenmünster, Meisterwerk der Gotik, von weit her sichtbar. „Notre Dame“, wie die Straßburger sagen, ragt nämlich steile 142 Meter in die Höhe. Die Hauptfassade, wie der Rest aus rosa Vogesensandstein, scheint sich aufzulösen, so stark ist sie durchbrochen von Spitzbogenfenstern, der riesigen Rosette, Fialen, Wimpergen, zarten Stäben und Bögen. Diese Kirche haut einen jedes einzelne Mal um.
Ich muss hineingehen, und bei gutem Wetter eventuell hinauf. Das sind allerdings 332 Stufen bis zur Münsterplattform. Aber die Mühe wird belohnt mit dem phänomenalen Blick über die Dächer der Altstadt. Vielleicht hätte ich doch hierher ziehen sollen. Und abends in kleinen Lokalen Salsa tanzen…
Zurück auf dem Boden der Tatsachen vertiefe ich mich in die Fassade des benachbarten Maison Kammerzell aus dem 15. Jahrhundert – ein Juwel mit spätgotischen Holzskulpturen und Butzenscheiben. Mit wieviel Hingabe dieses Material gestaltet wurde!
Jetzt aber zu meinem Lieblingsplatz. Gleich hinterm Münster, in nordwestlicher Richtung. Die Place du Marché Gayot liegt im ehemals jüdischen Viertel der mittelalterlichen Stadt. Bei schönen Wetter sitzen wir draußen zwischen Studenten in einem der Cafés oder kleinen Restaurants.
Die Kontraste
Eine schöne Route führt an der Ill entlang ins moderne, europäische Straßburg. Zunächst nehmen wir die Rue des Frères und dann am College St. Etienne und der Kirche St. Paul vorbei.
Schließlich den Quai Mullenheim entlang bis zur Ducrot-Brücke. Auf der anderen Uferseite warten die gläserne Architektur des Europaparlaments und die grünen Weiten der dahinterliegenden Orangerie. Ausspannen. Das Gras im Park wachsen hören. Den Störchen zusehen.
Zurück in Richtung Place de la Republique und nördliche Altstadt. Statt beim modernen Einkaufszentrum „Les Halles“ zu stoppen, ziehen wir weiter. In die Welt der modernen und zeitgenössischen Kunst, zum lichtdurchfluteten Musée d‘Art Moderne et Contemporain.
Eine Art Glaskathedrale der Kunst, die durch ihre Transparenz keinen Kontrast zu den Gebäuden der Altstadt, dem nahen Vauban-Damm und den mittelalterlichen Ponts Couverts provoziert – trotz 22 Metern Höhe.
Kaffeepause im Art Café mit Blick auf die Ill und Petite France? Nein, ich habe noch etwas auf Lager. Also zurück in den Stadtkern über die Ponts Couverts, die überdachten Brücken, und die Panorama-Terrasse des Vauban-Staudamms.
Hier schlägt das Herz der Stadt. In Straßburgs beliebtestem Teil, dem alten Gerberviertel mit seinen putzigen Fachwerkhäusern und Gassen. In Klein Frankreich tobt der Bär.
Auf der Place Benjamin Zix sitzen oder einfach dem bunten Treiben hier zuschauen, lässig an die Brüstung gelehnt, Blick auf die Ill. Flache Sightseeing-Boote, randvoll gefüllt, zwängen sich durch den schmalen Flusslauf.
Aber jetzt endlich zu meinem letzten Trumpf: Unweit von hier wartet mein Lieblinsgcafé auf uns, die „Épicerie“ in der Rue du Vieux Seigle. Nostalgie à la française und… mit Sicherheit die besten Tartines der ganzen Stadt.
Gerade denke ich: Es ist mal wieder soweit.
Text und Fotos: Elke Weiler
One thought on “Sommer an der Ill”