Ab und an knattert ein Trecker vorbei, kleines Format, inselgerecht. Ich sitze tief auf dem roten Vintage-Sofa, wie festgewachsen. Mir gegenüber ein flaschengrüner Sessel, daneben eine Zinkkanne, aus der Grün sprießt, dahinter eines der reetgedeckten Fachwerkhäuser, dessen Dachfirst mit Holzstäben wie festgetackert und skelettartig wirkt.
Fast alle Wege der Insel bin ich abgefahren. Auch solche, die es nicht gibt, und jene, die im Nichts enden. Überall bin ich aufs Meer gestoßen, das Südfünische Meer, ein Teil der Ostsee. Von Svendborg aus habe ich Skarø in 35 Minuten mit der Fähre erreicht. Auf dieser Fahrt der M/F Højestene nur mein Leihrad und ich sowie eine Horde Kinder plus Begleiterinnen, die allesamt kurz nach der Anlandung verschwinden.
Dabei dachte ich, sie seien aus dem selben Grund wie ich auf Skarø. Allein verstanden habe ich sie nicht. Drei von den Kindern gesellen sich zu mir und beginnen, mich fachmännisch auszufragen. Natürlich sprechen sie kein Englisch und ich kein Dänisch. Irgendwie haben wir dann doch unsere Namen ausgetauscht und die tiefgehendere Konversation auf das nächste Mal verschoben.
Auf der Insel habe ich sie erst mal abgehängt, weil ich mit dem Rad unterwegs bin. Doch viel mehr Menschen habe ich an diesem Tag auf Skarø nicht mehr getroffen, denn so bevölkert ist die Insel nicht. Außer an Fröschen, die sich allesamt um den zentralen Teich im zentralen Ort versammeln und einen ohrenbetäubenden Lärm fabrizieren.
Nur an vier Tagen im Jahr werden sie von den Musikgruppen des Skarø Festivals übertönt, dann ist wirklich viel los auf der Insel. Rita, resolut, kurze Haare, mittleres Alter, schwärmt von der Qualität der eingeladenen Bands. Sie selbst kommt aus Litauen und hält sich fast das ganze Jahr auf Skarø auf, sieht man mal von zwei Ferienmonaten im Winter ab. Sie arbeitet auf Skarø, und zwar eisbedingt.
Alles fing damit an, dass Martin Jørgensen vor ein paar Jahren von einem Freund erfuhr, Häuser wären hier auf den Inseln gerade günstig zu kaufen. Und Martin, der aus Kopenhagen kommt, liebt die Natur. In das Anwesen mit dem ehemaligen Kuhstall hat er sich sofort verliebt. „Sollen wir eine kleine Reise machen?“, fragte er seine Frau. Doch Britta Tarp war wenig begeistert, als er von seiner Shopping-Tour zurückkam.
Wie soll man auf Skarø leben?
Trotzdem verließen sie Odense und landeten auf der kleinen dänischen Insel mit noch nicht mal 30 Einwohnern, dafür zahlreichen Fröschen und noch mehr Vögeln. Im Sommer steht die Insel auch bei Mücken hoch im Kurs. Britta fand eine Lösung, sie eröffnete ein Café. Und weil sie seit jeher Eis liebt, begann sie neben Kaffee und Kuchen auch welches im Café anzubieten – handmade.
Was im Kleinen gedacht war, entwickelte sich rasant, denn alle liebten und lieben ihr Eis. Rita stieß zu ihnen und half bei der steigenden Eisproduktion. Heute sieht der Kuhstall nur noch von außen wie ein altes Gebäude aus. Innen ist er funkelnagelneu ausgebaut und enthält drei Eismaschinen, einen Eistunnel sowie einen Gefrierraum.
Denn das Eis von Skarø ist berühmt geworden, sogar Singapore Airlines ordert bei ihnen eine eigene Sorte, natürlich Singapore Sling. Unter den Kunden befinden sich auch „Den Blå Planet“, Nordeuropas größtes Aquarium in Kopenhagen, sowie Schloss Egeskov auf Fünen. Letzteres verfügt über größere Mengen Lavendel im Schlossgarten, so dass man auf Skarø konsequenterweise ein Lavendel-Eis geordert hat.
Neugierig probiere ich zunächst Lavendel, dann Salzkaramell und Schokolade. Dabei macht sich das rote Vintage-Sofa im Eingangsbereich sehr gut. Hygge für alle Sinne sozusagen. Gerne verrät mir Rita das Erfolgsgeheimnis vom „Is fra Skarø“. Es ist der Birkensaft, den sie jedes Jahr im April frisch abzapfen und für den Rest des Jahres einfrieren.
Er enthält Salze und Zucker, so dass sie die Zuckermenge reduzieren können. Hinzu kommen geringe Anteile von Tang sowie je nach Sorte ökologische Zutaten. Etwa die Erdbeeren vom Nachbarn. Ob sie in diesem Jahr wieder genug bei ihm einkaufen können, weiß Rita noch nicht. Sicher ist aber: Das Eis schmeckt großartig.
Mein Mittagessen auf Skarø besteht aus diversen Kugeln, etwas anderes gibt es derzeit im Ort eh nicht. Vorsaison. Wo oder was die Kinder wohl speisen? Butterbote von zu Hause? Bestimmt werden sie später bei Rita und ihren Helfern aus Frankreich vorbeischauen. Inzwischen haben Martin und Britta das Anwesen nämlich vergrößert, auch eine Ferienwohnung und ein Saal für Events sind eingerichtet. Alles im Vintage-Stil.
Während ich mich mit Rita unterhalte, flattern unzählige Schwalben hin und her, die außen am Kuhstall nisten. Das soll ja Glück bringen. Doch ich denke, Britta und Martin haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, als sie auf diese musikalische Insel gezogen sind. Im Winter sieht das Leben hier nämlich ganz anders aus, die Einsamkeit muss man schon mögen. Wer selbst kein Boot hat, ist von der Fähre abhängig. Und fast alle Dinge wie auch jener spezielle Mix aus Milch und Sahne für das Milcheis kommen eben mit der Fähre an.
Weht der Wind zu stark, kann die Fähre nicht anlanden. Im Winter fährt sie nicht regelmäßig, sondern muss geordert werden. Dann kommen auch keine Tagestouristen oder Segler, und es ist noch ruhiger auf Skarø. „Manchmal geht man spazieren und trifft niemanden“, sagt Rita. Auch die Eisproduktion wird im Winter zurückgefahren, sieht man mal von den Großkunden ab.
Die beste Zeit für Rita, mal wieder zu Hause in Litauen vorbeizuschauen. Jetzt muss sie sich aber wieder dem Eis widmen und verabschiedet sich, während ich mich ebenfalls dem Eis widme, nur eben auf dem Sofa und ganz entspannt. Algen und Birkensaft schmecke ich nicht heraus. Aber das Eis ist wie die Insel: natürlich und pur. Und im Hintergrund spielt jene Band aus Fröschen, Vögeln und Meer.
Ein Auto brauchst du nicht auf Skarø, Trecker und Rad reichen. Und ein Boot.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Visit Fyn, die diese Reise ermöglicht haben.
Schmeckt das Eis auf Jannis Couch?
Bestimmt! Wenn ich welches mitgebracht hätte. Aber das hätte die Fahrt wohl nicht überlebt! :-)