Im Gespräch mit Miya Suzuki, Düsseldorf
Einmal habe ich an Silvester den japanischen Tempel im EKŌ-Haus besucht, um an der Zeremonie teilzuhaben. Die Glocke neben dem Tempel wird 108 Mal geläutet, um die 108 menschlichen Leiden wie Gier, Wut und Ignoranz zu vertreiben. Ohne sonderlich viel darüber zu wissen, hat es mich fasziniert, daran teilzunehmen und selber die Glocke zu schlagen.
Nun stehe ich viele Jahre später an einem heißen Sommertag wieder im Garten des EKŌ-Hauses, von dem ich denke, dass es ein kulturelles Zentrum der in Düsseldorf lebenden Japaner ist. Ein Kindergarten und eine Bibliothek sind dem angeschlossen, gerade werden die letzten Kinder von ihren Müttern abgeholt.
Sonst ist nicht viel los. Eine Besuchsgruppe lässt sich wissbegierig und trotz der Hitze durch Teich- und Steingarten führen, während ich Schatten suche und mich auf die komplexen Erklärungen kaum konzentrieren könnte.
Eigentlich bin ich mit einer Japanerin verabredet, die schon seit langer Zeit in Düsseldorf lebt. Ein Teil der drittgrößten japanischen Gemeinde in Europa also, insgesamt leben etwa 8.000 Japaner am Rhein. Die meisten wohnen in Ober- und Niederkassel, rund um die Klosterstraße sowie im dörflichen Kaiserswerth, wo es auch mich dieses Mal zum Übernachten hin verschlägt.
Ich habe noch ein paar Minuten Zeit, bevor ich Miya Suzuki treffe, setze mich in den Eingangsbereich des EKŌ-Hauses und überlege mir, was ich alles von ihr wissen möchte. Die in Düsseldorf lebenden Japaner stehen in dem Ruf, am liebsten unter sich zu sein. Ist dem wirklich so?
Miya überrascht mich gleich mehrfach. Ich freue mich sehr, dass sie sich die Zeit genommen hat, um mich in Niederkassel zu treffen. Die selbstständige TV-Moderatorin und Reporterin arbeitet für japanische und deutsche Sender. Aus der Gunma-Präfektur im Herzen Japans kommend hat sie zunächst in Tokio gelebt und gearbeitet.
Dort war ihr Leben sorgsam getaktet und vom Job dominiert: Miya hat immer genau berechnet, wie viel Zeit sie wofür braucht. „Ich bin auch in Cafés gegangen. Meist jedoch, um Gesprächspartner für die Arbeit zu treffen.“ Wie seltsam das war, nach Düsseldorf zu kommen und Leute am Rhein sitzen zu sehen, die einfach nichts tun.
Aus beruflichen Gründen entschied sie sich, Japan für ein, zwei Jahre den Rücken zu kehren und Deutsch zu lernen. Doch es kam alles ganz anders. Sie lernte ihren halbitalienischen Mann kennen, und ihren gemeinsamen Sohn nennt sie heute „Kind vom Rhein“. Wenn sie mit ihrem Mann, der ein Faible für Südamerika hat, nicht noch nach Chile auswandert, werden sie in Düsseldorf bleiben. Für immer.
Wie viele andere in Düsseldorf lebt Miya also in einer multikulturellen Familie. Ganz am Anfang hat sie sich am liebsten von der japanischen Gemeinde ferngehalten, weil sie ja Deutsch lernen wollte. Doch das hat sich geändert. Nur ins EKŌ-Haus geht Miya nie. „Japaner sind nicht sehr religiös.“ Es sei wie in Deutschland, wo man meist an Hochzeiten wieder in die Kirche geht.
„Um japanisches Leben kennenzulernen, klopft man am besten beim Japanischen Club an“, meint sie. Dort würden viele Düsseldorf-Japaner Hobbys wie Kendo, Bridge und Singen nachgehen. Oder der japanische Fanclub von Fortuna Düsseldorf, der wäre auch eine super Gelegenheit. Das wäre mal was, denke ich. Gemeinsam mit japanischen Fans für die Fortuna fiebern!
Einmal wollte ein deutscher Sender mit Miya einen Beitrag über das Leben in Düsseldorf machen. „Dabai wollten sie zum Beispiel gerne eine Familie beim traditionellen Frühstück zeigen. Doch heutzutage frühstücken Japaner meist genau wie Deutsche mit Brötchen, Schinken und Käse.“ Die typischen Bohnen zu zeigen, wäre da ja nicht mehr zutreffend.
Als sie aus dem betriebsamen Tokio kam, hat sie ein halbes Jahr gebraucht, bis sie endlich auch mal in einem Café sitzen und nichts zu tun konnte. Dem Fließen des Rheins zuschauen. Ein halbes Jahr, um sich daran zu gewöhnen. Ans Genießen, das in Düsseldorf groß geschrieben wird. Das hat sie am Rhein gelernt, heute ihr Lieblingsort in der ganzen Stadt.
„Die Uhren ticken langsamer hier.“
Miya mag die positive Art der Düsseldorfer. Das lockere Miteinander. Und sie erzählt mir, wie es für sie war, als das Erdbeben in Fukoshima ausbrach, und es zur Nuklearkatastrophe kam. Wie sie in Deutschland saß und nichts tun konnte. Aber vor allem: Wie sie wildfremde Menschen in Düsseldorf angesprochen und ihr Mitgefühl bekundet haben. Das habe ihr sehr geholfen.
Langsam müssen wir uns voneinander verabschieden, obwohl wir noch ewig so weiterreden könnten. Und ich lerne noch etwas, eine Art Sprichwort in Japan: ICHIGO ICHIE. Ursprünglich kommt es aus der Teezeremonie. „Ichigo“ bedeutet einmalige Chance, „Ichie“ einmalige Begegnung. Man muss sich bewusst sein, dass eine Begegnung einmalig sein kann und sollte sie schätzen.
Vor allem auf Reisen denken Japaner an ICHIGO ICHIE. Ein Plädoyer für Höflichkeit und Herzlichkeit im Umgang miteinander.
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an NRW Tourismus, die diese Reise unterstützt haben.
Eine schöne Begegnung, die uns einen kleinen Einblick in das japanische Leben in Düsseldorf gibt – sehr spannend! Und daß irgendwo in Düsseldorf die Uhren „langsam ticken“ können, ist auch interessant. Da sieht man mal wieder, daß eben alles eine Frage der Perspektive ist!
Danke, Sabine! Ich empfinde das auch so. Für mich ist Düsseldorf rheinische Gemütlichkeit.
Hach, den japanischen Garten wollte ich mir auch noch mal anschauen. Ich habe mal auf einem Meeting ein paar nette Japaner kennengelernt und auch das japanische Viertel im Zentrum besuche ich gelegentlich. Teilweise glaubt man kaum, in Deutschland zu sein! Danke für den tollen Beitrag !
Danke dir, liebe Janett! Und nächstes Mal schaffen wir das gemeinsam! ;-)
Ich bin doch ein wenig überrascht, daß auch Japaner sich von der rheinischen Gemütlichkeit anstecken lassen. Düsseldorf ist halt ein wunderbarer multikultureller Ort, besonders für Menschen, die mit offenen Sinnen leben. Und auch durch die vielen Menschen wir Miya, die uns bereichern.
Danke für diesen tollen Beitrag
Danke!!! Das ist sehr schön und genau richtig gesagt: Menschen, die uns bereichern!!! Liebe Grüße!!!
Ich finde es interessant, dass für Japaner hier alles etwas langsamer geht, wo ich doch in anderen Ländern oft denke, dass in Deutschland alles viel hektischer ist als z.B. den südlichen Ländern.
Sonnige Grüße
Jessi
Ja, das stimmt, liebe Jessi! Aber Düsseldorf finde ich nicht hektisch. Oder Nordfriesland!
Der Japanische Garten ist ja wirklich wunderschön. Ich frage mich gerade, wie Japaner wohl Matrei am Brenner finden, wenn sie hier leben…hier ist es seeehr ruhig. Schon erstaunlich, wie unterschiedlich Kulturen sind, oder auch nur das Leben von Bundesland zu Bundesland oder zum Nachbarland. ;)
Liebste Grüße, Dani
Ein sehr interessanter Beitrag. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für jemanden aus Japan oder vor allem einer so großen, hektischen Metropole wie Tokyo, sehr ungewohnt sein muss ins vergleichsweise ruhige Düsseldorf zu kommen.
Ich persönlich besuche Düsseldorf sehr gerne und genieße es, ein wenig japanisches Flair in Deutschland erleben zu können.
Danke, Silja! Geht mir genauso! :-)