Mammuts in Lüneburg
Eine fast gespenstische Ruhe. Nur das leise Surren der Klimaanlage unter der hohen Decke des Museums. Draußen herrscht Winterdunkelheit, drinnen sind längst nicht alle Lichter erloschen. Und so fühle ich mich ein bisschen wie auf dem Präsentierteller hinter der Fensterfront zum Fluss. Davor meine Terrasse, dahinter die Stadt.
Ich bin zum ersten Mal in Lüneburg, und dann gleich so etwas.
Mein Blick schweift zur Terrasse, die ich erst morgen wieder betreten kann, ohne Alarm auszulösen. Nur wenige Geräusche dringen aus der Stadt ins Innere. Ein Martinshorn. Blau blinkt es im Museum auf, kurz, dann herrscht wieder diese Ruhe in meinem Riesenhaus. Auf einem der beiden roten Sofas im Foyer habe ich es mir gemütlich gemacht, Bücher lesend. Schreibend. Nachdenkend. Hin und wieder stehe ich auf und spaziere zum Treppenhaus, damit das Licht im Foyer wieder angeht.
Richtig dunkel wird es nie. Der Raum nebenan trägt den Titel „Schichten und schieben“, hier werde ich die Nacht zwischen Vitrinen und allerlei Gestein verbringen. Einen Rapawiki aus Åland zum Beispiel, der hier gefunden wurde, geschoben von eiszeitlichen Gletschern. Ob es wohl eine schlaflose Nacht wird? Vielleicht. Manchmal gibt es wichtigere Dinge. „Kennst du den Film ‚Nachts im Museum‘?“, hatte der Mann kurz vor meinem Aufbruch nach Lüneburg gefragt. „Der Dinosaurier wollte immer spielen!“ Soso. Hier weit und breit keiner zusehen, was sich irgendwie gut anfühlt. Besser als Dino-Sitting. Nachteil: Wenn du einem Tyrannosaurus nicht das Apportieren beibringen kannst, musst du dich mit anderen Dingen beschäftigen.
Mutterseelenallein
Meine Nacht im Museum. Mutterseelenallein. Meist kämen die Übernachtungsgäste zu zweit ins Museum, hat man mir gesagt. Manchmal gar zu dritt. Einer hatte eine Gitarre dabei, um im menschenleeren Museum Inspiration zu finden. Kein Hotel kann so viel Raum bieten, aber es ist mehr als das. Geschichte, ortsbezogen, und die Aura uralter Dinge. Dafür kann man nachts im Museum weder rein noch raus, ohne den Alarm auszulösen. In einer Notsituation könnte ich das Gebäude natürlich verlassen. Daher liegt die Nummer der Museumsleiterin aus, die in einem solchen Fall zu benutzen wäre. Ich lege sie erst mal beiseite.
Ein bisschen komisch ist es schon. Habe ich da nicht ein Geräusch gehört? In der Toilette? Nein, da ist nichts. Nur langsam gewöhne ich mich ein, das Museum atmet. Der Schlafwürfel ist geräumig und verfügt über Ablageflächen an den Seiten sowie versteckte Fächer, eines davon abschließbar. Und gegen das Außenlicht kann ich ihn mit Rollos ein bisschen abdunkeln. Hätte ich doch nur zugesagt, das Vitrinenlicht mehr abzudämmen, als der Museumsmitarbeiter mich gefragt hatte! Der Letzte, der dann die Pforten schloss. Ich dachte nur, mit etwas Licht kann ich alles sehen, wenn ich im Laufe der Nacht zu den Toiletten wandern muss.
Da liegt eine Box in meiner Schlafkoje, die sogenannte Chillbox. Eigentlich habe ich die Zähne schon geputzt, doch nun bin ich neugierig ob des Inhalts und trage sie in einer Lesepause zu meinem Sofa. Wie ich im Museum so hin und her renne, fühle ich mich wie eine Mitarbeiterin. Überstunden bis tief in die Nacht! Ich tanze durch die Räume, Musik in meinem Kopf.
Zuvor, im Toilettenraum, fielen mir plötzlich Szenen aus dem Film „Wie klaut man eine Million?“ mit Audrey Hepburn und Peter O’Toole ein. Raus mit der Wahrheit! Ich halte mich seit der Schließung in einem Winkel des Museums versteckt. Eine lange Nacht steht mir bevor. Morgen früh muss ich mich als Putzfrau verkleidet mit einem vermeintlich teuren Stück Kunst im Eimer verdünnisieren. Zur Rettung der Familienehre! Aber wo finde ich das Ding? In der Chillbox sind Bio-Snacks, Wein, Wasser, Apfelsaft und andere nachhaltige Produkte wie Toilettenpapier. Ein Kondom. Ha! Wer weiß, ob schon einmal ein Kind im Museum gezeugt wurde. Ich schwanke zwischen den Genres. Mal bin ich in einem Krimi, mal in einer Komödie, dann in einem Drama.
Das Mammut trabt
Die Wächterin des Museums schreitet durch die Räumlichkeiten, bevor sie sich in ihr Schlafgemach zurückzieht. Nicht ohne noch einen Blick auf die Illmenau geworfen zu haben. Das glitzernde Wasser. Geräumig wie ein Himmelbett der Cube. In der Ferne trabt das Mammut, sind es zwei oder drei? Und ewig rauscht die Klimaanlage. Seit der Steinzeit hat sich einiges getan. Der Mensch ist bedeutsamer geworden auf dem Planeten. Zu bedeutsam. Und leider zu dumm, um ihn zu bewahren. Zu raffgierig.
Das Mammut trabt über weite Steppen, trabt und trabt. Wiehern Mammuts eigentlich? Es trifft auf Moschusochsen, Rentiere, Wildpferde, Wollnashörner. Ich hab’s! In Wirklichkeit ist die Schlafkugel eine Zeitmaschine, die über Lichtschneisen in Form von Vitrinen zurück durch die Kalt- und Warmzeiten der Erde rast, Millionen, Milliarden von Jahren zurück. „Cube an Erde, Cube an Gegenwart!“ Mein Bett ist bequem, der Würfel wie ein stylisches Zelt mit Matratze. Eine minimalistische Raumkapsel, zusammensteckbar noch dazu. Ich sause davon. Wo sind die Sterne? Ich muss den Himmel öffnen. Langsam erlöschen die Lichter der Stadt auf der anderen Seite des Flusses. Irgendwann trabt ein Mammut durch meinen Traum. Zwei, drei…
Text und Fotos: Elke Weiler
Mit Dank an Sleepero, die mich zur Nacht im Museum eingeladen haben, sowie an das nette Team vom Museum Lüneburg, das mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat. Nach dem Frühstück im Museum habe ich mir noch die oberen Etagen der Ausstellung angesehen. Ergebnis: Auch hier kein Tyrannosaurus Rex! Dafür jede Menge zur (salzigen) Stadt- und Landgeschichte. Ein Schmuckstück etwa die Reproduktion der gen Osten ausgerichteten Ebstorfer Weltkarte. Oder wie man um 1300 die Welt sah.
Ich bin mit der Bahn nach Lüneburg gereist. Vom Bahnhof ist es nur ein Katzensprung zum Museum. Auch auf der anderen Seite des Flusses ist alles wunderbar zu Fuß zu erreichen. Und ich habe so viele schöne Eindrücke bekommen, dass ich zu weiteren Forschunsgzwecken bald wieder nach Lüneburg reisen will. Vielleicht im Frühjahr.
Weitere Inspiration zu ungewöhnlichen Übernachtungen?
Was die Kollegen schreiben
Tanja von „Schlafen und staunen“ hat nachts mit der Familie im Schwimmbad auf Fehmarn geplanscht, Claudia von „Weltreize“ erlebte in der Hamburger Handelskammer eine turbolente und heiße Nacht, Sarah von „Niederrheinblond“ konnte in der Lüdenscheider Phänomenta allerhand ausprobieren, und Julia von „bezirzt“ hat sich auf dem Gelände der pfälzischen Ebernburg wie ein mittelalterliches Burgfräulein gefühlt.
Was für eine Übernachtung in diesem Museum in Lüneburg! Gehört auch Mut dazu, so etwas zu machen.
Das ist eine ganz spezielle Atmosphäre. Ich würde es wieder tun. Am liebsten beim nächsten Mal irgendwo draußen (im Sommer)!
Mach mal Übernachtung im Strandkorb, das ist auch ein Erlebnis, habe ich in Grömitz gemacht – mega geil.
Jo! Hab ich auf Föhr gemacht, in Utersum, absolut genial: https://meerblog.de/schlafstrandkorb-utersum-foehr/