Hatte Theodor Storm Nordfriesland nur im Winter erlebt? Dann wäre es verständlich, Husum als „graue Stadt“ zu bezeichnen. Oder, was wahrscheinlicher ist, er liebte diese Zeit besonders. Sich im Nebel zu verlieren. Kein Horizont, die Welt wie abgedämpft.
Auch in seiner Novelle „Der Schimmelreiter“ werden die gemütlichen Jahreszeiten mit ein paar Sätzen abgespeist, der Sommer quasi übersprungen, um dann wieder mit aller Detailkraft im stürmischen Herbst und schaurigen Winter zu landen. Das bot wohl die aussagekräftigste Kulisse für ein Drama.
Und da sind wir nun. Alles grauweiß verschleiert, Husums Hafensilos, das Wasser, der Dockkoog, das Marschland. Wir überlegen, wie der Winter wohl auf Sylt sein wird, und setzen uns in den nächsten Zug. Als wir über den Damm setzen, legt die Ebbe schmutzige Eisbrocken im Watt frei, die Erde wirkt wie aufgesprungen. Ohne Sonne, die sich kaum durch die dicke Wolkenschicht bahnen kann. Eine einfarbige, unbelebte Landschaft wie auf dem Mars.
Nichts los in Westerland
Westerland, wir sind da. Laufen vom Bahnhof über die zentrale Wilhelmstraße. Viele Geschäfte sind noch geöffnet, doch kaum Shopper unterwegs. So verlassen habe ich die Insel selten erlebt. Vor allem nicht Westerland, den lebhaftesten Ort Sylts. Stattdessen sind viele Lokale in Winterpause, die Straßencafés leer.
Niemand, der heute am Ende der Promenade die Kurtaxe kassiert. Freier Eintritt zum Strand. Die Winterurlauber verlassen die Insel meist nachder ersten Januarwoche. Die ruhigsten Wochen Nordfrieslands beginnen. Und trotz des Wetters zieht es ein paar Hartgesottene an den Strand.
Wir hören die Brandung rauschen, und das Meer berauscht uns. Wir riechen Feuchtigkeit, ohne den intensiven Salzgeruch des Sommers, doch eine satte Feuchtigkeit. Der Nebel verschluckt den Horizont, da erscheint ein einzelner Surfer im eiskalten Wasser wie ein graues Gespenst.
Diese Leute würden wahrscheinlich auch auf Eisschollen reiten. Eine Möwe spaziert am Meeressaum entlang, drei dunkle Gestalten ein Stück weiter, gerade noch erkennbar. Und über allem diese himmlische Ruhe, nur das satte Geräusch der klatschende Brandung.
Als die Feuchtigkeit unser Haar benetzt, das aus den Mützen herauslugt, und langsam an den Beinen hochkriecht, die Kälte unsere Gesichter rot färbt, wissen wir: Es ist Zeit zu gehen. Zeit für einen Café-Besuch.
Zeit für ein bisschen Wien auf Westerland. Zeit für hausgemachte Waffeln oder eine Rahmtrüffeltorte, einen Pharisäer oder eine Tote Tante. Und als Souvenir noch ein, zwei Stückchen aus der Schokoladenmanufaktur. Lieber die Zartbitter mit hawaiianischem Meersalz? Oder weiße Schokolade mit Holunder? Honig, Dillgeist und Trüffel in der Vollmilch…
Auf dem Weg zurück zum Bahnhof erscheint uns der Winter plötzlich weniger kalt, der Nebel weniger feucht. Jetzt kann uns nichts mehr in die Unendlichkeit des grauen Nichts hineinziehen. Die Stimmung ist prächtig, die Schokolade ein Fest. Fast so gut wie die Wirkung von Sonnenstrahlen. Sylt im Winter war irgendwie erleuchtend.
Text und Fotos: Elke Weiler
Cafe Wien auf Sylt ist klasse. Und es muss nicht immer was Süßes sein. Im Winter findet man bestimmt leichter einen freien Tisch?
Jo! :-)
Danke, wenn ich das lese, fühl ich mich grad so, als wär ich dort…
Gibt es denn das Cafe Schwermer in Husum noch? Das ist auch ein prima Unterschlupf an grauen Wintertagen.
Nein, ein Café Schwermer kenne ich nicht… Ich empfehle dort gerne das „Jacqueline“.