Matilda!

Es geschah an einem Sonntagnachmittag. Aus einem Gebüsch an unserem Grundstück ertönte ein klägliches Miauen. Ich ging zu der Stelle hin, konnte aber nichts sehen. Also kramte ich in Andenken an den guten Kater Mats meine Fremdsprachenkenntnisse hervor und miaute zurück. Ohne zu wissen, was ich genau sagte. Doch ich traf den richtigen Ton: Ein zartes Wesen trat aus dem Gebüsch hervor und kam auf mich zu. Ich hob es hoch und brachte es in Sicherheit, weg von der Straße.

Sein Miauen ließ nicht nach, also holte ich aus unseren Vorräten das Einzige hervor, das mir einigermaßen katzengerecht erschien: Sardinen im eigenen Saft. Im Altglas fand ich ein Puddingglas, das ich auswusch und dem Kätzchen als Napf anbot. Es stürzte sich geradezu auf die Nahrung. Dass es dabei von den beiden Hunden kritisch beäugt wurde, machte ihr wenig aus. Zart und klein, wie sie war, verfügte sie über ein etwa vier- bis fünffach so großes Selbstbewusstsein. Das beeindruckte nicht nur mich.

Tatort Bad

Geschwind konnte das Kätzchen den Hunden entwischen und ließ sie tolpatschig und alt aussehen. Auch drei Wochen später und ein Kilo schwerer kann Matilda sich immer noch unter die Kücheninsel, hinter Schränke und unter Sofas zwängen. Unter einem davon verzehrte sie ihre erste Maus. Meine Vermutung geht dahin, dass sie sonntags gerne ihr neues Leben im Familienrahmen bei uns feiert.

Kleine Katze an der Tür
Die Entdeckung der Welt

So geht sie nach dem Dinner noch mal an die frische Luft, und es dauert nicht lange, bis sie in unfreiwilliger Begleitung zurückkehrt: mit einer Maus im Maul. Sie spielt damit vor unseren Augen, bevor sie sie verdrückt, und sie macht das nicht aus Appetit. Es wirkt wie eine Demonstration ihrer Fähigkeiten. Wir ekeln uns jedes Mal, und unser Verhältnis erhält einen leichten Knacks. Bei der ersten Sonntagsmaus hinterließ die Killer-Queen nichts als drei kleine Blutflecken auf dem Fußboden.

Eine Woche später, also gestern, schleppte sie ihr zweites Opfer an. Janni sah ihr verständnislos dabei zu, und wir beschlossen, ihn vor den psychischen Folgen dieses Sonntagskrimis im Cat TV zu bewahren und zu uns zu rufen. Dieses Mal verschwand Matilda im Bad mit der Maus. Wieder hinterließ sie Blutflecken und dieses Mal sogar etwas Gedärm.

Wie Hund und Katz: Julchen und Matilda
Das Wesen vom anderen Stern

Ungewollt rutschte ich in die Rolle der Tatortreinigerin, säuberte und desinfizierte alles. Würde ich mich in Zukunft noch im Bad aufhalten können, ohne an jenen Mord zu denken? Was ich nun brauchte, war ein bisschen Abstand von der Täterin. Das schien sie nicht sonderlich zu stören, ohnehin war sie ins Fresskoma gefallen und wollte nur noch in Ruhe verdauen.

Natürlich finden alle die kleine Matilda zuckersüß. Dieses Näschen, mit dem sie einen zur Begrüßung gerne gegen die eigene Nase stubst. Die für den Kopf noch etwas zu groß geratenen Ohren und die olivgrünen Augen, die sie gerne weit aufreißt, vielleicht um eine hypnotische Wirkung zu trainieren. Irgendwie erinnert sie mich an Golum.

Wir haben sie gleich ins Herz geschlossen. Können ihr stundenlang beim Spielen und Entdecken zusehen und über ihre Kätzchen-Tolpatschigkeit lachen. Selbst Leute, die wiederholt behaupten, sie nicht zu mögen, kümmern sich liebevoll um Matilda. Julchen sah sich zunächst in einer tantenhaften, oberlehrerhaften Rolle. Doch dann beschloss sie, dass es mit den Plüschtieren wesentlich einfacher ist. Man nimmt sie hierhin und dorthin mit, nutzt sie bisweilen als Kissen oder Schalldämpfer. Stumme Groupies, die man nach Lust und Laune um sich versammeln kann. Mein Hund ist schließlich ein intelligentes Wesen.

Die neue Praktikantin

Ohne Absprache mit Julchen als Leiterin Kolumne stellte ich Matilda als Meerblog-Praktikantin ein. Ihre Neugierde und ihr Entdeckergeist qualifizieren sie in meinen Augen. Julchen gab sich skeptisch und twitterte sich ihre Zweifel von der Seele. Matildas Praktikum besteht nun darin, entweder auf meinen Schoß in den seltsamsten Positionen zu pennen, während ich arbeite, und das ist die angenehmere Variante.

Versucht sie die Praktikanten-Initiative zu ergreifen und in die Tasten zu hauen oder über den Schreibtisch zu klettern, kann das schon ein bisschen stören. Mein PC-Passwort hat sie bislang noch nicht geknackt. Setze ich sie auf den Boden, dauert es nicht lange und sie macht einen Hechtsprung zurück auf meinen Schoß. Das Spiel wiederholt sich einige Male, bis sie sich zum Schlafen hinlegt oder eine andere Beschäftigung sucht. Das Tanzen meiner Finger über die Tastatur kann ihre Jagdinstinkte wecken. Schon mehrere Male stand Matilda kurz vor ihrer Entlassung. Wegen tätlichen Angriffs.

Kätzchen Matilda
Wie jetzt – die Zimmerpflanzen sind keine Toiletten?

Doch sie wäre keine Katze, wenn sie nicht alles im Griff hätte. Uns, die Hunde, das Leben. Nachts schläft sie gerne neben einer Wärmequelle, was leider dazu führte, dass wir anfangs nicht so gut schliefen. Schließlich fürchteten wir, das zarte Wesen beim Drehen im Schlaf zu zerquetschen. Die Bettdecke böte ja nicht genügend Pufferzone.

Doch sämtliche Ängste erwiesen sich als unbegründet, denn Matilda überlebte und wirkte morgens immer ausgeruht und fit – im Gegensatz zu uns. Wir gewöhnten uns an sie und schlafen inzwischen wieder besser. Julchen ist eifersüchtig und klettert manchmal die Treppe hoch, um ebenfalls im Bett zu nächtigen. So wird es dort zwar etwas eng, aber schließlich können wir Julchen nicht verweigern, was dem Neuzugang erlaubt ist.

Mit Janni traf Matilda ein Gentle-Girl-Agreement. Er darf ihr während des Essens zuschauen und am Ende ihren Napf säubern. Im Gegenzug darf sie seinen Napf putzen. Ein absolutes Tabu ist, ihn beim Fressen stören. Dann kann er wirklich unwirsch werden. Aber das hat die Kleine nach dem ersten Versuch abgehakt. Wenn Matilda nicht schläft, entdeckt jeden Winkel des Hauses und Gartens. Den Duft von Lavendel. Die Beschaffenheit von Türen, Zäunen und Bäumen. Das Leben.

Matilda auf dem Baum
Super Cat

Vor allem aber entdeckt sie ihre eigenen Skills. Wir haben sie schon an einem dicken Baumstamm vierpfotig kleben sehen, jeder Kletterer wäre blass vor Neid geworden. Allerdings hatte sie sich leicht überschätzt, was die Höhe anging, und brach die Aktion nach kurzer Zeit ab.

Wir haben ihr Bongos geschenkt, um ihr musikalisches Talent zu fördern. Ein Spielzeug aus zwei miteinander verbundenen Sisalbällchen. Damit kann sie wahre Kunststücke vollbringen, auf zwei Beinen stehend wie eine echte Drummerin oder über den Rücken rollend oder in die Luft hüpfend. Wir wundern uns nicht selten, wie hoch so ein Kätzchen schon springen kann.

Warum wir sie Matilda genannt haben? Es war die Idee des Mannes. Ich hatte zunächst an einen japanischen Namen gedacht, der sich jedoch als nicht praktikabel erwies, da Julchen auch darauf hörte. Weil sich mein Leben oft und unkontrolliert in irgendwelchen Liedern reflektiert, erwischte mich der alte Ohrwurm von Belafonte: „Matilda, she take me money and run Venezuela. Once again now!“ Das Lied verfolgt mich zwar, wechselt sich jedoch mit einem Song von Queen ab.

„She’s a Killer Queen
Gunpowder, gelatin
Dynamite with a laser beam
Guaranteed to blow your mind
Anytime“

Text und Fotos: Elke Weiler

P.S.: Jeden Abend fliegt ein lärmender Schwarm von Graugänsen über unser Haus und lässt sich auf der Fenne dahinter nieder. Dann sind da noch die Meisen, Spatzen, Amseln und Rotkehlchen, die unsere Hecken und Bäume bevölkern, dankbar, dass wir sie sogar im Sommer ab und an pampern. Nur um unsere wehrhaften Hennen mache ich mir keine Sorgen. Háfrun hatte zuletzt ohne Not einen kleinen Frosch verspeist…

16 thoughts on “Matilda!

  1. Liebe Elke,

    da hast du mich sowas von erwischt! Das eine Photo, wo Matilda in der Türe sitzt und man ihren zarten Welpenkörper sieht, das erinnert mich so sehr an mein Kätzchen. So klein, so flauschig, so herzzerreißend süß. Ich wünsche euch noch viel Freude an dem eigensinnigen Kind!

    Sonnenwarme Grüße (Sauna wäre wohl treffender)
    Franziska

      1. Liebe Elke,

        sie heißt Alachia und müßte mittlerweile 17 Jahre alt sein (wenn alles gut ging). Mit einer Bekannten haben wir sie und ihr Schwesterchen aus einem Haus bei einer überforderten Frau rausgeholt, die zwei Würfe in einem Kinderzimmer aufzog. Von mir ist sie dann auf’s Land geschickt worden als sie knapp 7 Monate alt war. Geblieben ist sie meine, weil sie schon in der ersten Nacht in der Kehlgrube angekuschelt lag. Und so schmelze ich dahin, wenn ein Katzenkind so zierlich und selbstbewußt dasitzt.

        Vielen Dank, ihr habt diesen hoffentlich! :)
        Liebe Grüße
        Franziska

        1. Liebe Franziska,

          interessanter Name! Kommt woher? Und hast du sie seitdem noch mal gesehen? Es ist ein tolles Erlebnis. Denn Katzen sind außergewöhnliche, sonderbare wie wunderbare Tiere. :-)

          Liebe Grüße!

          Elke

          1. Guten Morgen, Elke!

            Der Name kommt aus Pen & Paper, den hat ein guter Freund am selben Abend (eher Nacht) herausgehauen. Gesehen habe ich die Kleine nicht mehr, aber ihr Photo noch hier. Wie sie rotzfrech meinem Irish Setter gegen die Nase tätschelt. *lach* Mit unserer Tierärztin waren wir uns einig, das ein weiteres Sich-Sehen nicht gut wäre. (Heute würde ich übrigens einiges anders machen!) Ja, Katzen sind toll!! Und gar nicht mal so solitär, wie man immer liest. Das ist mir in 38 Jahren eher selten untergekommen. Eigen? Ja! Ich wünsche euch mit Matilda ganz viel Freude! Und das ihr uns als Lesern ab und an eine Fortsetzung schreibt! Wie eure Kleine ganz groß wird. :)

            Liebe Grüße, geht nicht ein bei dieser Monsterhitze,
            Franziska

          2. Liebe Franziska,

            danke, ich werde mein Bestes geben. Außerdem würde ich es begrüßen, wenn meine beiden plüschigen Kolumnisten mal wieder etwas diktieren würden. Zum Thema Katze haben sie ja ihre ganz eigene Meinung.
            Hier sind die Deiche schon gelber als die Weizenfelder, aber heute macht der Wind es angenehmer für Deichschaf und Mensch.
            Liebe Grüße nach Bonn mit frischer Brise!
            Elke

  2. Guten Morgen, Elke!

    Bei all den bisherigen Erlebnissen, auch in der Familie, auch mitgelesen bei Instagram, gehe ich davon aus, das deine Hunde sich an die allumfassende Macht einer Katze gewöhnen werden. :)
    P.S. Mein Vater, der angebliche NichtKatzenFreund, hat sich von Alachia damals um die kleine Kralle wickeln lassen. Wir durften ihn nur nicht darauf ansprechen! Lach.

    Ja, heute ist es angenehmer, bzw. gestern. Wir haben es hier im Rheinland auch gerne so angenommen. Bis vor einer Stunde hat es dann endlich geregnet! (Es war ehrlich nötig! Bei euch sicherlich auch!) Ich bin ja wie eine Idiotin die letzten Wochen mit meinem Trinkbecher vom Camping (gute 30 Jahre alt), hin und her gerannt, um meinen Lieben 2-4 mal täglich zu helfen. Jetzt streicht es kühl um die Beine, und so verabschiede ich dich auch, schlaft gut und auf bald mit tollen Erlebnissen!

    Liebe Grüße
    Franziska

    1. Guten Morgen, liebe Franziska!

      Du bist auch auf Instagram? Stimmt, du hattest mir den genialen Tipp #Chickenshaming gegeben! Bei Twitter folge ich dir jetzt mit sämtlichen Accounts. ;-)
      Was die Familienzusammenführung angeht, haben wir ein neues Problem: Gestern wollte Matilda zwei unserer Hühner attackieren… Das wird schwierig werden! Der Mann hat ihr bereits mit Verbannung gedroht, wenn er weniger als vier Hühner lebendig vorfindet. Ansonsten gibt sich die Katze ausgesprochen familienorientiert. Was nicht immer und von jedem begrüßt wird. ;-)
      Dann stoße ich mal auf deinen gehegten und gepflegten Trinkbecher und seine lobenswerte Verwendung an!

      Liebe Grüße und einen wunderbaren Tag!

      Elke

      1. Liebe Elke,

        das ist jetzt nicht wahr, und vermutlich doch!! Wie lief es bis heute, war alles ok, oder hat Matilda ihrem Katzengen nachgegeben?? (Falls ja, und dein Mann Ernst machen sollte, nehme ich sie gerne. :))
        Ja, ich bin auch auf Instagram, und eben auf Twitter. Bei Insta war meine geniale! Idee, keine App zu installieren. Ich möchte dort einfach nur schreiben, mein bißchen Englisch verbessern, das war’s.
        Ich stoße mit eben jenem Becher auf Matilda an, dieser Name ist Legende! und hoffe, diese Süße stellt sich mit euren Hühnern gut!

        Ganz liebe Grüße,
        Franziska

        1. Guten Morgen, liebe Franziska!

          Bislang alles im grünen Bereich! Matilda ist sehr interessiert, doch Hafrún sehr wehrhaft. Die Hunde haben sich außerdem dazwischen geworfen, als Hafrún drohend in Richtung Matilda ging. Hier ist immer was los!

          Liebe Grüße,

          Elke

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