Der wandernde Sand

Leuchtturm

Verlassen wirkt die Landschaft Thy. Wir haben Limfjorden hinter uns gelassen, Emilia frisst Kilometer um Kilometer. Immer wieder klappt mein Seitenspiegel nach vorne, mit jedem stärkeren Luftzug, verursacht durch Lastwagen. Immer wieder kurbele ich das Seitenfenster hinunter, richte den Spiegel neu. Wenigstens schlafe ich auf diese Art bei der ersten längeren Fahrt unseres Roadtrips nicht ein.

Als wir in Blokhus ankommen, zeigt sich rasch, dass sich jeder Kilometer Richtung Nordjütland gelohnt hat. Die Dünen direkt hinterm Haus, Meerblick und dieses Malerlicht. Als hätten wir einen Platz in den Dünen gepachtet, wenn auch in keinem der weißen Badehäuschen.

In Blokhus
Begehrte Badehäuschen

Die türkisfarbene Jammerbucht lässt uns jammern: Wir wollen nicht wieder weg. Doch ein Roadtrip ist ein Roadtrip ist ein Roadtrip. Und so sitzen wir schon am nächsten Morgen wieder im Auto. Vor Julchens Arztbesuch, der sich aufgrund der Einreisebestimmungen für Hunde in Norwegen nicht umgehen lässt, suchen wir noch einen Hundewald im Hinterland von Blokhus.

Der Sand ist überall

Mitten in der Pampa also. Leider hat Emilia mal wieder Startprobleme – ausgerechnet hier! Meine Kabel nutzen mir gerade nicht, denn außer mir ist nur ein einziger Gassigänger unterwegs. Zumindest steht sein Auto hier. Wir warten. Als plötzlich ein dänischer Wagen vorbeifahren möchte. Ich springe auf und stoppe ihn.

Acadiane am Strand
Was ist los mit Emilia?

Das Paar mittleren Alters nimmt es mir nicht übel, als ich die Situation erkläre. Leider finden wir nicht beide Pole in ihrem Vorderraum, doch der Mann holt sich Hilfe per Telefon. Und siehe da: Es funktioniert. Die beiden wollen wissen, ob ich allein unterwegs bin. Ich zeige auf den Hund im hinteren Teil. Man wünscht uns eine tolle Reise, doch aufpassen sollte ich. Sie lachen.

Wir fahren zu einer Tierärztin, damit Julchen ihre Wurmkur machen kann. Das muss spätestens 24 Stunden vor der Einreise in Norwegen geschehen, aber frühestens 120 Stunden vorher. Wir sind ein bisschen spät dran, doch für den genauen Zeitpunkt der Ankunft klappt es so gerade noch. Quasi auf die Minute.

Ein bisschen Sahara

Schließlich landen wir in einer anderen Welt. Der Sand ist überall, im Mund, in den Augen, Ohren, Taschen, Koffer, auf und in Emilia. In jedem Ritz. Vom Hund ganz zu schweigen. Julchen ist akribisch darauf bedacht, dass der Nachschub nie ausgeht. Sie trägt volle Ladungen vom Strand in sämtliche Wohnungen, der richtigen Buddel- und Wälztechnik sei dank.

Im Sand
Zwei Welten
Rubjerg Knude Fyr
Surreale Erscheinung

Doch jedes Haus, jedes Apartment und Zimmer ist mit dem überlebensnotwendigen Gerät wie Besen, Feger und Kehrblech ausgestattet. Und immer wenn ich mal drei Minuten Zeit habe, kehre ich den Sand zu Haufen zusammen. Keiner unserer Orte in Dänemark ist ohne Sand, doch das alles ist noch zu toppen.

Die Wanderdüne Rubjerg Knude. Der Wind fegt ihren hauchfeinen Sand in einem fort über die Oberfläche. Wir sind im eigentlich grünen Naturgebiet zwischen Lønstrup und Lokken und haben uns über schmale Wege zum Leuchtturm hervorgearbeitet. Vorbei an grasenden Schafen und Markierungen über die zu erwartende Verschiebung der Düne in den nächsten Jahren, beziehungsweise Jahrzehnten.

Vergänglichkeit

Als wir die hell leuchtende Sandfläche erreichen, die wie der Teil eines anderen Planeten an die Kante der Steilküste gebeamt zu sein scheint, laufe ich barfuß weiter. Schon bald stehen wir vor dem Leuchtturm, ein Relikt vergangener Zeiten über dem Sand, an diesem surrealen Ort. Nach einer letzten Renovierung ist der Turm wieder begehbar.

Reste eines Hauses am Leuchtturm Rubjerg Knude Fyr
Lose Steine, Überreste der Häuser

Ich traue dem Ganzen nicht. Um mich herum nichts als Sand und lose Steine, Mauerreste der zum Turm gehörenden Häuser. Die Klippen so nah. In zehn bis fünfzehn Jahren wird der Turm der Erosion zum Opfer fallen, so bald schon. Wo, wenn nicht hier, ist die Vergänglichkeit des Lebens mehr zu spüren? Zwischen der Bewegung von Wind und Sand, den Blick auf den Abgrund geheftet.

Und doch ist es der wunderbarste Ort unserer Reise bislang. Ein geradezu magischer Ort, auch wenn der Begriff überstrapaziert und kitschig klingt. Rubjerg Knude Fyr und vor allem die 90 Meter hohe Wanderdüne scheinen aus einer anderen Welt zu sein. Auch der Hund spürt das. Julchen hat sich ihren Platz hier oben ausgewählt, sie legt sich ab, will nicht weiter. Einfach nur gucken, ewig lang gucken.

Lose Steine bei Rubjerg Knude
Durchblick
Rubjerg Knude Fyr
Lieblingsplatz

Auf das Meer, seine tausend Blaugrüntöne. Wie lang kann der Hund in diesem Saharasturm ausharren? Eben noch schien Juli amüsiert, ob ich den Aufstieg auch schaffe. Sie will mich motivieren, in dem sie an mir hochspringt. Und erreicht damit eher, dass ich das Gleichgewicht verliere. Fast.

Die Nordsee kommt näher

Nun wirkt sie ruhig. Wir schauen in Richtung Hirtshals und Norwegen, wo uns schon morgen sein werden. Noch eine letzte Nacht im Skallerup Seaside Resort, wo wir eines der geräumigen Holzhäuser beziehen. Ein letzter Sonnenuntergang in Dänemark. Julchen freundet sich mit einigen der Nachbarn an, die sich über das Riesengelände verteilen.

Der letzte Abend
Der letzte Abend

Am nächsten Morgen statten wir einem Kirchengebäude einen Besuch ab, das keines ist: Mårup Kirke. Was wir finden, ist eine Erinnerung. Ein Anker, das Holzgerüst, das die Glocke trug, Teile eines Friedhofs. Der Rest ist bereits abgestürzt oder abgetragen worden, um die Architektur zu retten. Eine kleine weiße Kirche aus dem 13. Jahrhundert war hier einmal zu sehen. 2015 wurde die letzten Reste abgetragen.

Zwei bis drei Meter kommt die Nordsee näher – jedes Jahr. Das letzte Stück bis zur Kante ist abgesperrt, doch der Hund kümmert sich um solche „Empfehlungen“ nicht. Inspiriert vom Rauschen des Meeres unter uns und dem Duft der Kräuter rundherum wälzt Julchen sich überall, auch unter der Absperrung. Spürt sie die Gefahr nicht?

Vor der Abfahrt nach Norwegen steuern wir den Hundepark von Hirtshals an, sind jedoch die Einzigen an diesem Vormittag. Julchen soll sich austoben, bevor es auf die Fähre geht. Ich bin aufgeregt, extrem aufgeregt. Nach dem Einschiffen muss ich sie allein im Auto lassen. Zwei Stunden und 15 Minuten lang.

Steilküste
Steilküste
Anker ohne Kirche
Anker ohne Kirche

Kaum dass ich an Deck bin, laufe ich zu einem der Einweiser und erkundige mich nach der Temperatur und nach dem Geräuschpegel auf dem Parkdeck. Er schaut mich an und beginnt sogleich, mich zu beruhigen. Ich stelle Julchen Wasser ins Auto und begebe mich in die oberen Etagen. Wohl ist mir nicht.

Wie ein Wal

Immerhin sind wir auf der aerodynamisch geformten Schnellfähre Fjord Cat, alles andere hätte länger gedauert. Die Strecke von Hirtshals bis Kristiansand quasi ein Fingerschnipp. Wie ein Wal wirkt der Katamaran von weitem. Als ich am Heck der Kraft der vier Wasserstrahler hinterher sehe, merke ich zum ersten Mal die Geschwindigkeit. Fast 90 Kilometer pro Stunde.

Zwei Stunden später darf ich zurück aufs Parkdeck und kann Julchen in die Arme schließen, selten habe ich mich mehr darüber gefreut. Doch sie wirkt frisch und ausgeschlafen, meine Sorge scheinbar völlig unbegründet. Umso besser! Geradezu euphorisch und nicht ohne entsprechendes Gebell lassen wir die ganzen Motorräder an Deck hinter uns und düsen an Land. Südnorwegen also. Kristiansand. Die erste Stadterfahrung auf unserem Roadtrip, der von Küsten, Wasser, Sand, von Blau und Grün geprägt ist.

Der junge Zollbeamte sieht mich prüfend an. Just in dem Moment, als wir vorbeifahren wollen, fängt Julchen an zu bellen. Er bittet mich, das Fenster runterzukurbeln und fragt nach dem EU-Ausweis für den Hund. Dann soll ich auf eine Art größere Garage zufahren, noch von einer Rolltür verdeckt. Langsam öffnet sie sich.

Im Innern geht alles ganz schnell. Der nette norwegische Beamte hat den Ausweis mit allen notwendigen Angaben gecheckt. Unser Arztbesuch in Dänemark war also nicht umsonst.

Julchen darf einreisen.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Nordjütland und Fjordline, die diesen Teil unseres Roadtrips #scandi43 unterstützt haben.

26 thoughts on “Der wandernde Sand

  1. Hallo Elke,
    wir waren im letzten Sommer auch bei Rudbjergs Knude. Definitiv eine faszinierende Landschaft. Tolle Bilder! Ich bin ein wenig traurig, dass der Leuchtturm wohl nur noch ein paar Jahre leben wird.

    Alleine mit dem Hund und dann will das Auto nicht mehr, oh je. Mutig :) Ich les mal weiter, ich hab hier noch was von Island gelesen, klang spannend.

    1. Danke dir! Rubjerg Knude ist sehr toll. Wann genau wart ihr dort? Ich möchte gerne wieder hin. Ja, das mit der Ente war teilweise spannend. Allerdings gab es überall sehr hilfsbereite Menschen. :-)

  2. Sehr spannender Bericht. Ich bin ja auch ein Nordlicht, deshalb ist es soweit eigentlich nicht für mich bis nach Dänemark. Die Bilder sprechen für sich. :-)

    Herzlich,
    Anna

    1. Danke dir! Wo wohnst du eigentlich? Die Wanderdüne ist so klasse! Man muss halt nur ein ganzes Stück nordwärts fahren, aber es lohnt sich. LG, Elke

  3. Rubjerg Knude … wunderschöne Erinnerungen an meinen ersten Dänemark-Urlaub im September 1977.
    Danke für Deine Schilderungen.
    Ostfriesland-Grüße,
    Margot

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