Klein Tokio ist nebenan

Klein Tokio

Düsseldorfs japanisches Viertel

Mitten in der Nacht, und die Stadt schläft fast. Als ich am Abend durch ihre Straßen lief, wurde mir klar, dass sie sich nicht verändert, nie. Auch wenn neue Gebäude entstehen, neue Plätze, neue Wege, ja, sogar neue Radwege in Düsseldorf. Es wird immer Düsseldorf bleiben, ein bisschen zu glattpoliert, ein bisschen zu geschäftig, doch immer nonchalant.

Der Herbst ist Düsseldorfs Zeit, das kaum Jahreszeiten kennt, das sich ganzjährig gleich anfühlt, als gäbe es immer 15 Grad in Grau und Nieselregen. Doch der Herbst vergoldet die Stadt. Dieser gedämpfte Grundton, das Milchige, Nebel über der flachen Landschaft. Wenn plötzlich das andere Ufer des Rheins verschwindet, als würde der Fluss ins Ungewisse fließen, als könnte er gar ein Meer sein.

Im Dunkeln stehe ich am Ufer, und es scheint, als würde der Rhein kaum fließen. Dabei weiß ich, dass die Strömung hier, gleich hinter dem Rheinknie, an Fahrt gewinnt. Ein doppelter Lastkahn schieb sich wie in Zeitlupe den Fluss hoch. Ich mag den Rhein in der Dunkelheit wie am Tag, bei kontrastreichem Licht, einem Himmel voll dunkler Wolken.

Düsseldorf
Draußen sitzen.

Vielleicht verändere ich mich, doch Düsseldorf nicht. Etwas mutiger würde ich es mir wünschen, visionärer, um sich wie Kopenhagen für die Zukunft zu wappnen. Doch dazu verharrt es zu sehr im Hier und Jetzt. Der Rheinländer versteht es, den Moment zu leben, zu genießen, zu zelebrieren. Düsseldorf gibt sich gerne jovial, weltoffen und heiter. Gleich wenn du ankommst, empfängt dich die Stadt wie ein Kokon. Sie wird dich nie verraten, nie herausfordern. Das Leben hier wird sich immer leicht anfühlen – vorausgesetzt, du kannst es dir leisten.

In sich ruhend, selbstüberzeugt, großzügig bis gönnerhaft, zeigt Düsseldorf keinerlei Bestrebungen, anders zu werden. Im Herzen der Rhein, alles fließt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins. Eine leere Sektflasche rollt über den Betonboden in der Altstadt. Rundherum junge Leute, Düsseldorf wird nicht alt, nie. Selbst die Alten sind jung und trinken Rosé in Kneipen, die sich nicht verändern.

Alles wie immer

Wir trinken Wasser, sitzen im Café des alten Kinos, essen Popcorn und reden über das Leben, das sich verändert, das wir verändern oder auch nicht. Im Raum nebenan läuft der letzte Film, Geräusche dringen aus dem Saal, als würden wir an einer Straße sitzen. Dann wieder Stille, nur unsere Stimmen, das Krachen des Popcorns zwischen den Zähnen.

Wir gehen hinaus, die Luft fühlt sich nicht kalt an, fast lau. Leute sitzen unter freiem Himmel, Ende Oktober, wie in Italien, den Heizpilzen sei Dank. Es riecht nach Fisch und Knoblauch in der Schneider-Wibbel-Gasse, als läge Düsseldorf am Mittelmeer. Und selbst dann, wenn das gleiche Wetter wie an der Küste angekündigt ist, fühlt es sich in Düsseldorf wärmer an.

Restaurant im me & all, Düsseldorf, Klein Tokio
Ein Gefühl von Asien

Ich wohne zum ersten Mal mitten im Zentrum, auf der Immermannstraße. Die Hochstraße am Anfang, von den Düsseldorfern liebevoll „Tausendfüßler“ genannt, existiert leider nicht mehr. Dabei hätte man sie auch nach dem Bau des Tunnels noch nutzen und begrünen können – als Park in der Luft sozusagen. Als Urban Gardening Projekt.

Immerhin gibt es Bäume auf der Immermannstraße. Über die breite Allee schreitend, erscheint mir Düsseldorf einmal mehr als Stadt der 1000 Sprachen. Schon als ich noch in den Gassen der Altstadt wohnte, hatte ich oft diesen Eindruck. Auf der Immermannstraße bin ich umgeben von Asia-Supermärkten, japanischen Buchhandlungen, Schreibwarenläden, Reinigungen, Restaurants und Hotels.

Shopping auf Japanisch

Von Klein Tokio oder Japanviertel ist oft die Rede, wobei die rund 6500 in Düsseldorf lebenden Japaner meist linksrheinisch wohnen. Auf der Immermannstraße arbeiten, speisen oder kaufen sie ein. So nutze auch ich die Infrastruktur und erstehe Matcha-Tee mitsamt der zugehörigen Gerätschaften im Asia-Markt.

An der Kasse kommt man ins Gespräch: Die beiden Mädels in der Schlange hinter mir wollen wissen, ob der feine Bambusbesen für Kopfmassagen gedacht ist. Lachend kläre ich sie auf. Düsseldorf ist so auf Wellness fixiert.

Ich flaniere vor winkenden Glückskatzen in Schaufenstern, und auch in meinem Hotelzimmer finde ich eine von der Sorte, die ohne Unterlass „klaklaklak“ macht. Also gönne ich ihr ein Chillout und entferne die Batterie.

Mehr Bezugnahme auf den Kiez, auf die Japaner finde ich in der Einrichtung: weiße Lampen und Blumentapete überm Bett, Bambusbilder in Aufzug und Dusche, rote Asia-Lampen in der Lounge. Im Zimmer schaue ich beim Zähneputzen auf die Stadt, wenn nicht in den Spiegel. Gelungen die Raumaufteilung, großzügig die Fensterausschnitte.

me & all in Düsseldorf, Klein Tokio
Wo bin ich?

Angeregte bis aberwitzige Gespräche im Aufzug oder an anderen Orten zu führen, das ist Normalität in Düsseldorf. So wundert es mich nicht, drei junge Männer in guter Stimmung im Fahrstuhl anzutreffen. Einer davon will mittels Bommel an der Mütze mit Außerirdischen in Kontakt treten.

Ihr Ziel ist die Lounge im elften Stock, obschon es an diesem Tag kein Wohnzimmer-Konzert geben soll. Einfach so, wegen der Aussicht. Zum Chillen. Am nächsten Morgen sitze ich eben dort zum Frühstücken. Die Stadt liegt mir zu Füßen, die Sonne ist da, gelb leuchtet das Laub.

Rundherum die für die Stadt so typische Bebauung. Von schlichter Eleganz, nicht selten mit Reminiszenzen an die 50er Jahre. Bunte Balkon-Oasen hier und dort, und immer wieder Bäume, die das Gros der Bebauung überragen wie vorwitzige Riesen. Der Wald gewinnt am Horizont die Oberhand, beim Höhenzug des Grafenberger Walds.

Ich muss hinaus, um die Stadt neu zu entdecken, die immer eine Heimat bleiben wird. Und es ist schön, mehrere davon zu haben. Vielleicht ist es auch nur dieses wohlige Gefühl, mehr als die Stadt, das sich nie ändern wird.

Text und Fotos: Elke Weiler


Bald geht es hier weiter mit Streetart in Düsseldorf. Ich traf L.E.T. (Les enfants terribles) in einer Bilker Kneipe, besuchte sein Atelier in einer alten Fabrikhalle und ging auf eine kleine Streetart-Tour…

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