Kuhkuscheln in Jevenstedt
Und dann findest du dich an einem milden Herbsttag mitten auf einer Weide wieder. Sitzend, obschon sich der Boden nicht ganz so warm wie die Luft anfühlt. Das Gesicht der Sonne entgegengestreckt. Neben dir Bubi, der Seite an Seite mit seiner Mutter im Gras liegt und gemütlich wiederkäut. Mein Rücken an seinem Fell, seine Flanke an seiner Frau Mama. Das Glück liegt auf der Wiese? Am Anfang war es schon ungewohnt, inmitten einer Rinderherde zu stehen oder gar zu sitzen.
Agrarwirtin Laura Morschett instruiert ihre Besucher:innen, wenn sie sich zum Kuhkuscheln auf die Weide begeben. Keine hektischen Bewegungen. Am Hals kommt das Kraulen gut an, im Gesicht weniger. Sie macht es vor, hockt sich auf eines der mitgebrachten Kissen und schmiegt sich an Amira, die neben ihrer Tochter Annouk liegt. Beide haben nichts dagegen, dass auch ich sie vorsichtig streichle. Sogar neben dem größten Tier der Herde namens Themba darf ich sitzen und mit den Fingern durch sein Fell wandern. Der wirklich massige Körper beeindruckt mich. Er wird sich doch hoffentlich nicht zur Seite bewegen, während ich neben ihm sitze? Laura lächelt und beruhigt mich. Dann sagt sie, Thembas Gewicht sei von einem Besucher mal auf eine Tonne geschätzt worden. Das glaube ich sofort!
Wir gehen weiter, als Themba sich erhebt, und visieren den nächsten potentiellen Kuschelpartner an. Bubi. Während ich neben ihm sitze, passiert es. Ich verliere meine Unsicherheit, sämtliche Bedenken haben sich aufgelöst wie die Wolken am Himmel. Das Leben ist schön, die Sonne scheint großzügig, und ich genieße die Ruhe rundherum. An Bubi gelehnt, schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, wirkt das Gras grüner, der Himmel blauer, die Luft milder.
Mir wird bewusst, dass diese Veränderung nicht nur vom Chillen auf der Wiese ausgeht. Bubi tut einen nicht unerheblichen Teil dazu. Einfach durch seine lässige Ausstrahlung. Bubi ist Meister der good vibes. Der warme Körper an meiner Seite, das gleichmäßige Kauen, das flauschige Fell, das ich streicheln darf. Endlich kann ich es genießen, mich ein bisschen anzulehnen. Abschalten.
Lebenskühe
„Seine Ohren sind ganz entspannt“, bemerkt Laura, die ein Stück weiter ebenfalls auf der Weide sitzt. Sie weiß um den Effekt ihrer Lieblingstiere. Ursprünglich aus Niedersachsen kommend, hat sie schon als Jugendliche gerne im Kuhstall ausgeholfen. Da war es nur konsequent, Agrarwissenschaften zu studieren. Ihre Abschlussarbeit widmete sie der Tiergestützten Therapie.
„Streichle mal bis zu den Hörnern hoch und lege die Hand um eines“, rät sie mir. Als ich es mache, bin ich verblüfft, wie warm das Horn ist, wie das Leben darin pocht. Wie sehr man das Kauen spürt. Laura erzählt ein bisschen, wie sie zu den 13 Rindern kam, jedes hat seine eigene Geschichte. Und alle sind sie auf ihre Art liebenswert. „Lebenskühe“, nennt Laura sie. Auch ehemalige Milchkühe finden sich darunter, Donna etwa und New York, die Mutter von Bubi. Ihr inzwischen zweijähriger Sohn sollte eigentlich nach 14 Tagen verkauft und gemästet werden, doch er hat wahres Glück gehabt und darf nun sein souveränes Wesen auf der Weide entfalten.
Ein Jahr hat Laura gebraucht, um die Kühe auf den näheren Kontakt mit Menschen vorzubereiten. „Gleichzeitig sollten sie nicht den Respekt verlieren“, sagt Laura, die sich hin und wieder durchsetzen muss. Von Natur aus sei ein Rind gegenüber dem Menschen vorsichtig bis scheu. Zwar hatte ich schon diverse Male Kontakt mit Kühen, doch es war immer ein Zaun zwischen uns. Einige von ihnen haben ihre Köpfe vorgestreckt, um sich mangels Händen mit dem Maul vorzutasten. Dann fand ich sie ziemlich vorwitzig, und auf dem Hof Lüttje Drööm ist es nicht anders. So hat Laura ihr Domizil liebevoll genannt, kleiner Traum.
Immer wieder trottet eine der Kühe heran, gespannt, was hier passiert. Liegen nicht auch interessante Dinge im Gras? Laura lenkt die Neugierige dann sanft um, obwohl die Tasche oder die Kamera bestimmt eine Untersuchung wert gewesen wären. Auch zupft gerne an meiner Jacke, wer sich so weit vorgearbeitet hat. Doch die Kuhflüsterin hat alles im Griff. Und irgendwann liegen alle 13, so unterschiedlich sie auch sein mögen, nur noch lässig in der Sonne. Das ist der Moment. Neben Bubi mitsamt seiner Ausstrahlung, Gemütlichkeit und Nonchalance, fühle ich mich fast wie ein Teil des Ganzen. Hier und jetzt, inmitten der Natur. Diese Ruhe.
Text & Fotos: Elke Weiler
Infos zum Kuhkuscheln
In den Niederlanden ist es schon länger als Koe-Knuffelen bekannt. Körperkontakt kann aufgebaut werden, soweit das Rind es erlaubt. Es soll schließlich für beide angenehm sein, ein Kontakt auf Augenhöhe. Laura fungiert als Vertrauensmensch der Tiere. Sie kennt das Wesen ihrer Kühe und Ochsen am besten und kann sie lesen, etwa an den Bewegungen der Ohren. Wenn auch das Rind die Augen schließt, ist es entspannt.
Laura bietet Kuhpatenschaften an, die es ihr ermöglichen, für den Unterhalt und die medizinische Versorgung der Rinder zu sorgen, die nicht mehr im landwirtschaftlichen Dienst stehen. Ich überlege, ob ich Teilpatin von Bubi werde. Natürlich kommt das Geld in den Topf für alle! Mehr erfahrt ihr auf Lauras Website Hof Lüttje Drööm.
Mehr Tiergeschichten? Hier geht es zu Alpakas, Lamas und Eseln.
Buchtipp
Wenn ihr das langsame Reisen mögt oder gar bevorzugt, wenn ihr Schleswig-Holstein aus der nachhaltigen Perspektive erleben wollt, empfehle ich euch mein im März 2023 erschienenes Buch „Slow Travel – Unterwegs in Schleswig-Holstein“. Was bedeutet es überhaupt, langsam zu reisen? Darauf gehe ich einführend ein, dann geht es kreuz und quer durch unser schönes Bundesland. Zu Fuß oder mit dem Rad, aber nicht nur. Zu Besuch in Glückstadt an der Elbe oder an den Strand von Kellenhusen. Auch das Kuhkuscheln gehört dazu.