In der Geltinger Birk

Als ein geliehenes Stück Skandinavien bezeichnet Holger Tüxen das zwischen den Meeren liegende Land. Er ist Naturguide in der Geltinger Birk und erklärt mir, wie sich das Gebiet mit der letzten Eiszeit gebildet hatte und später von Meer und Menschenhand geformt wurde. Von Skandinavien schoben sich Eismassen mit Geröll und Felsstücken gen Süden und ließen die Schuttmassen beim Auftauen zurück. Voilà Schleswig-Holstein. Schmales, schönes Land, vom Wasser umarmt, vom Wind umtost.

Der letzte Gletscher formte die Flensburger Förde. Ringsherum die von Moränen gebildete, geschwungene Landschaft. Heute reicht die Halbinsel Angeln wie ein Fischkopf mit spitzer Nase in die Flensburger Förde hinein. Und genau über dieses Kopfende, diese Landzunge laufen wir.

„Alle wollen die Koniks sehen“, meint Tüxen in Bezug auf die kleinen Wildpferde, die hier seit 2002 Landschaftspflege betreiben. Auch Galloways unterstützen sie dabei. Gestern Abend habe ich sie von der Terrasse meines Reethauses am Rande der Birk beobachten können. Ja, die Koniks würde ich auch gerne sehen. Aber natürlich bin ich offen für andere Tierbeobachtungen.

Mühle Charlotte, Geltinger Birk
Beherbergt heute Gäste: Charlotte.

Schwierig wird es mit dem Hören, da hilft der Naturguide gerne weiter. So kann er den Zilpzalp ausmachen, der ständig seinen Namen ruft. Oder das „Gigigi“ des Grünfinks, während er fliegt. Schön, dieser Klangwald morgens in der Birk. Ein vielstimmiges Konzert, das nie zu laut oder zu aufdringlich wird. Und fürs Auge gibt es auch genug: Graugänse, Kanadagänse, Brandgänse und Schwäne. Seeschwalben auf kleinen Inseln in der Mitte der Birk, willkommene Brutinseln.

„Da! Meine erste Rauchschwalbe in diesem Jahr!“ Klassischer Naturführer-Sprech. „Und dieses Bibibibip, das ist ein Kleiber.“ Tüxen schwärmt vom Segen der Wiedervernässung in der Birk, wo einst die Inseln Beverø und Barkø existierten. Letztere gilt als Namensgeberin der Birk. Das Meer schob Sandwälle gen Norden, irgendwann schufen diese eine Verbindung mit dem Festland. Von Menschenhand wurden die Gebiete zwischen den ehemaligen Inseln trockengelegt und landwirtschaftich genutzt.

Das neue Reetdorf

Beim Abpumpen des Wassers half die Mühle Charlotte, die heute hinterm Eingangbereich die Besucher begrüßt und Feriengäste beherbergt. Zu meiner Überraschung finden wir immer wieder hübsche Katen im Naturschutzgebiet, die mietbar sind. Verträgt sich das mit dem Naturschutz? Nicht, wenn die Regeln gebrochen werden. Gäste-Partys etwa sind verpönt. Und dass auf dem ehemaligen Kasernengelände am Rande der Birk nun ein ganzes Reetdorf heranwächst, stieß den Naturschützern auf. Das Projekt ist eng mit einer besonderen Verantwortung verknüpft, es gibt Auflagen für die Investoren, u.a. was Licht und Lärm betrifft.

Meine Kate auf Zeit

In einem Reethaus am Rande der Lagune übernachte ich und zähle somit zu den Nutznießern. Diese Stille! Ich darf die Birk auch erleben, wenn die Tagesgäste schon fort sind. Von der Terrasse blicke ich auf das wiedervernässte Gebiet, in dem sich zahlreiche Vögel niedergelassen haben. Die Birk ist artenreicher geworden, seitdem in den Wintermonaten ab und zu Ostseewasser einströmen darf.

Der Wasserspiegel stieg auf zwei Meter unter dem Meeresspiegel. Durch die Flutung starben einige Bäume, ihr Astwerk ragt aus dem Wasser. Wir sind weit weg von der Zivilisation, und auch wieder nicht. „Die Birk verfügt über das Klima einer Ostseeinsel“, meint der Natur- und Landschaftsführer. Von der nördlichen Kante blicken wir über das blaugrüne Wasser der Flensburger Förde. Dänemark liegt zum Greifen nah: Die Umrisse von Sønderburg, die Anhöhe von Dybbøl Banke. Nur die im Osten liegende Insel Æro, meine Entdeckung vom letzten Sommer, kann ich nicht ausmachen.

Holger Tüxen liest die Landschaft: „Hier laufen wir über einen alten Deich.“ Die ehemalige Insel Beverø lag im Norden des heutigen Gebietes und ist teilweise noch erkennbar. Jedenfalls für Kenner. Oder für Schilderleser. Als ich nämlich am nächsten Morgen aus dem Haus gehe und geradewegs in die Birk hineinstolpere. lese ich mehr über das Tote Kliff. Leute wie ich hätten es für einen normalen Abhang gehalten. Hier wächst eine gelbe Rarität, eine Pflanze von der roten Liste: die Stängellose Schlüsselblume, die deutschlandweit nur noch in Schleswig-Holstein vorkommt.

Die Kolonie der Kormorane

Wildgänse gibt es viele, doch die sind mir vertraut von der heimischen Küste und von den Halligen. Jetzt ist die Zeit der Ringelgänse, der Nonnengänse, und bald werden die ersten Küken der Graugänse schlüpfen. Kormorane hatte ich zuletzt auf einer Insel im Sylter Rantumbecken ausgemacht (siehe auch meine „52 Eskapaden von Sylt bis Sankt Peter-Ording“, erschienen 2018 im DuMont Reiseverlag). Der Wasservogel brütet in Gruppen am Boden oder auf Bäumen, und auch die Geltinger Birk verfügt über eine größere Kolonie.

Der Kormoran schert sich nicht um den Baum.

Der Kormoran gilt als heimisch in Norddeutschland, war jedoch in Mitteleuropa fast ausgestorben. Seit dem Jagdverbot der 1970er Jahre erholte sich die Situation, was Fischer, Teichwirte und Angler nicht gerade erfreut. 1997 hob die EU den Artenschutz auf. Wir entdecken schwarzglänzende Vögel auf geisterhaft wirkenden Bäumen. Weiße Äste, blätterlos. „Der Kormoran-Kot kann den Baum so schwer beschädigen, dass er abstirbt“, weiß Tüxen.

Wem ich an diesen sonnigen Frühlingstagen in der Geltinger Birk nicht begegne: der Kreuzkröte. Einst durch Landwirtschaft und Entwässerung verdrängt, setzt man hier seit Jahren wieder Jungtiere aus. Über die Wiedervernässung freut sich also nicht nur die Vogelwelt, neben diversen Spezies auch ich. Abends auf der Terrasse des Reethauses bei Sonnenuntergang. Im Morgenlicht dem vielstimmigen Vogelkonzert lauschend. Galloways am Horizont, Weißwangengänse auf dem Feld, norwegische Schafe auf dem Falshöfter Deich. Dazu eine leichte bis stärkere Brise von der Ostsee.

Norsk Spaelsau, norwegisches Schaf
Das Spælsau (sprich: spälsö) grüßt.

Text und Fotos: Elke Weiler

Mit Dank an Urlaubsart für die Übernachtungen im Reetdorf Geltinger Birk, an Ostseefjord Schlei und Primo PR für die Organisation der Recherchereise.

In den folgenden Infos dreht sich alles um Nachhaltigkeit:

Die Unterkunft

Reethaus Geltinger Birk
Künstlerkate „Lagune“ im Morgenlicht

Wer so nah am Naturschutzgebiet baut, trägt eine besondere Verantwortung, daher wurde bei den Reethäusern am Rande der Birk der Fokus auf Nachhaltigkeit gesetzt. Für die Stromversorgung sorgt die Photovoltaikanlage auf dem Dach der Rezeption, die Solethermie-Anlage heizt und kühlt die Häuser je nach Jahreszeit, zusätzlich kann sie von der Pelletsheizung unterstützt werden. Dabei stammen die Miscanthuspellets aus eigenem Anbau.

Mit ihren Reetdächern und Fassaden aus Ziegelsteinen passen die Häuser in ihre Umgebung. Sogar auf das Anbringen der für die Halbinsel Angeln typischen Hängehölzer auf dem First wurde nicht verzichtet. Innenanstriche auf Kalkbasis regulieren die Feuchtigkeit. Man legte Wert auf die Verwendung natürlicher Materialien im Innenbereich wie Holz, Wolle und Baumwolle. Für die Theke an der Rezeption im Hauptgebäude wurden breite Eichenbalken von der Glücksburger Seebrücke recycelt. Wer mit dem E-Auto anreist, wird sich über die Ladestation freuen. Radfahrer können ihre Bikes in den Anbauten aus unbehandeltem Lärchenholz unterbringen.

Die Region

Leuchtturm Falshöft
Mit dem Rad nach Falshöft

Ostseefjord Schlei hat sich 2018 als Nachhaltiges Reiseziel zertifizieren lassen. Das geht nur, wenn das Angebot vor Ort stimmt. Für einen Überblick kann sich der Urlauber einen Bonuspass aushändigen lassen, der alle Betriebe auflistet. Außerdem warten Belohnungen je nach Anzahl der Stempel im Pass. Die gibt es zum Beispiel für die Nutzung von Bus und Bahn, den Besuch bestimmter Lokale, des Naturparks Schlei oder für die Übernachtung in nachhaltigen Unterkünften wie dem Reetdorf. Die Gegend lässt sich übrigens sehr gut mit dem Rad erkunden. Nicht zu verpassen: eine Radtour zum Leuchtturm von Falshöft und ein Bummel durch die Gassen von Kappeln, die ich mir allesamt autofrei wünsche, Anwohner ausgenommen. Parkplätze rund um die Altstadt gibt es zur Genüge.

Der Café-Tipp

Uta Janbeck

Janbeck*s FAIRhaus steht schon langer auf meiner Liste. Glücklicherweise trennten mich nur 25 Radminuten vom Reetdorf bis zur fantastischen Trümmertorte in Lehbeck, einem Ortsteil von Gelting. Familie Janbeck fühlte sich in der Hamburger Innenstadt nicht mehr wohl und entdeckte den typischen Angeliter Dreiseithof aus dem 18. Jahrhundert, kaufte die Ruine 2002 und investierte viel Arbeit und Herzblut in die Aufarbeitung. Heute sind sie Mitglied bei Slow Food und Feinheimisch, Partner der Klimahotels und als umwelt- und klimafreundlicher Betrieb von Viabono und CO2OL zertifiziert. Für das Frühstück der Gäste und im Café wird Wert auf regionale Produkte gelegt, die zu 80 Prozent aus Bio-Anbau stammen. Uta Janbecks Zitronen-Brennessel-Aufstrich ist zur Zeit der Renner auf dem Frühstückstisch. Brot und Brötchen backen sie im Fairhaus selber. Und wer will, kann vegan oder vegetarisch frühstücken.

Der Restaurant-Tipp

Fischsuppe im Tauwerk, Kappeln
Fisch der Saison

Das Restaurant „Tauwerk“ ist zugleich das Clubhaus des Arnisser Segelclubs. Es liegt im Südhafen von Kappeln direkt am Wasser, und seit Anfang des Jahres steht Michel Helmchen hinterm Herd. Fragt man die Einwohner, ist es eines der beliebesten und besten Restaurants von Kappeln. Ich entscheide mich für die Fischsuppe als Vorspeise und Spargel mit Katenschinken im Hauptgang. Sehr lecker, sehr sympathischer Koch und ein tolles Team, das dem Fachkräftemangel ein System mit lernbegierigen und motivierten Schülerinnen und Schülern entgegensetzt.

5 thoughts on “In der Geltinger Birk

  1. Liebe Frau Weiler! Vielen Dank für den schönen Bericht und die Bilder aus einer mal ganz anderen Sicht auf die Birk…und natürlich auch für das nette Gespräch. Das sollten wir irgendwann einmal fortsetzen. Viele Grüße, Uta Janbeck

  2. Auch außerhalb der Geltinger Birk ist schön hier bei uns. Wer die Ruhe sucht und den Trubel nicht mag, ist hier auf jeden Fall richtig.

    1. Absolut! Ich habe die Radtouren sehr genossen und die ruhigen Momente am Meer. Allerdings stand Ostern vor der Tür, da war bestimmt einiges mehr los! Wer vor allem die Ruhe sucht, ist in Nebensaison-Zeiten am besten aufgehoben. Egal, ob Nord- oder Ostsee.

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