Lüttmoor in Lila

Halligflieder blüht

An der Küste ist die Sehnsucht groß. Immer. Es zieht dich hinaus aufs Meer. Und wenn die Bondestave blüht, also der Strandflieder die Salzwiesen lila färbt, folgst du nur zu gerne dem Ruf. Auch bei uns sieht man immer mehr davon, am Spieker zum Beispiel. Am schönsten blüht er auf den Halligen Gröde und Nordstrandischmoor, wo der sogenannte Meerlavendel weite Flächen erobert hat. Über spezielle Drüsen kann er Meersalz ausscheiden und ist daher perfekt für das Leben auf der Salzwiese geeignet.

Nun sind die Wege nach Nordstrandischmoor limitiert. Wer das Glück hat, eine Übernachtungsmöglichkeit ergattert zu haben, wird mit der Lore in Lüttmoorsiel auf dem Festland abgeholt. Eine ruckelnde Fahrt mit dem einfachen Wagen übers Watt beginnt, ich kam einmal zwischen Dagebüll und Hallig Oland in den Genuss. Möglichkeit Nummer 2 ist ungleich anstrengender, da das Watt am Beltringharder Koog immer mehr aufschlickt, so hat es die dreieinhalb Kilometer lange, geführte Wanderung in sich. Teilweise soll man bis zu den Knien einsinken. Lieber trete ich die sechs Kilometer lange Tour von Pellworm nach Hallig Süderoog noch einmal an – die war wunderschön!

Mit dem Schiff nach Nordstrandischmoor
Mit dem Schiff nach Nordstrandischmoor

Was bleibt, ist Möglichkeit Nummer 3: Ich nehme das Ausflugsschiff ab Nordstrand. Wie bei der Wattwanderung ist auch hier der Aufenthalt auf der Hallig begrenzt. Das sagt uns der Kapitän gleich zu Beginn, der Grund ist ein tideabhängiger Anleger auf Nordstrandischmoor, der nur bei Hochwasser erreichbar sei. Andernfalls würden wir festfahren.

Die Sache mit der Zeit

Wir legen ab, um zunächst Kurs auf Pellworm zu nehmen und dann in einem Bogen nach Nordstrandischmoor zu düsen. An Backbord ragt die Warft von Hallig Südfall einsam aus dem Wasser. Ich philosophiere mit meinen Sitznachbarn, einer dreiköpfigen Familie mit zwei kleinen Hunden, über das Leben auf den Halligen, Sturmfluten und die Klimakrise. Immer mal wieder reckt sich ein Robbenkopf aus dem Wasser, ein glänzender Körper, der geschmeidig durch die Wellen flutscht und verschwindet.

Kaum Wind, die Nordsee sachte in Bewegung, der Himmel bedeckt. Auch wenn sich die Zeit dehnt, und man auf einem Schiff stets den Eindruck hat, reichlich davon zu haben, als würde das Meer die Zeitlosigkeit in sich tragen, ändert sich dieses Gefühl schlagartig beim Anlegen. „Um 13.10 Uhr fahren wir zurück“, informiert uns der Kapitän. Anderthalb Stunden auf der Hallig, die so weit erscheint. Die Schiffsladung ergießt sich auf dem Weg zur Neuwarft, alle Zwei- und Vierbeiner schlendern gemütlich los. Nur ich habe einen anderen Rhythmus. Bleibe stehen, überhole, schaue, fotografiere. Versuche, ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Vergesse, dass die Zeit tickt.

Es ist ein Gefühl von Verlorenheit inmitten des Meeres. Von karger Schönheit. Minimalismus. Sturheit, oder sagen wir, eine Art von Trotz. Diese Haltung, sich seit Jahrhunderten dem Wind, den Stürmen, der Einsamkeit entgegenzustellen. Sich gut dabei fühlen, eins mit der Umwelt. Die Freiheit zu atmen. Jeden Austernfischer mit Namen kennen, der mit einem lauten Trillern über uns hinweg fliegt. Um mich herum ein Meer von Strandflieder, gerade erblühend. Daneben der milchig-silbrige Ton des Strand-Wermuts. Musikalisch untermalt vom a capella der Schafe.

Auf Höhe der Neuwarft löst sich der Pulk auf. Einige gehen ins Sturmflutkino, ins einzige Café von Lüttmoor oder begeben sich auf den Pfad der Warften, die hier meist nur mit einem Haus bestückt sind. Die Sonne bleibt hinter den Wolken, vielleicht ist es besser so. Nordstrandischmoor glänzt lila.

Spröde Schönheit

Die sommerliche Schönheit eines spröden Landfleckens, der immer wieder vom Meer besucht wird. Etwa 40 Mal im Jahr passiert das auf den Halligen. Manchmal bringt sogar der Sommer eine Sturmflut. Dann müssen Schafe und Kühe auf die Warften gebracht werden, die als einzige aus dem Wasser ragen. Für die Gelege der Austernfischer und andere Brüter auf den Salzwiesen ist ein Landunter zu dieser Zeit fatal.

Schafsgetümmel

2013 hat es für die Norderwarft kritisch ausgesehen, als Sturmtief Xaxer das Wasser hochdrückte. Da sich auch die Halligen für die Klimakrise wappnen müssen, existiert das von Bund und Land geförderte Projekt „Hallig 2050“. Auf dem Festland werden sogenannte Klimadeiche gebaut, auf den Halligen Langeneß, Hooge und Nordstrandischmoor hat man mit dem Errichten von Klimawarften begonnen.

Eine davon hat an die Norderwarft angedockt, das will ich mir ansehen. Vielleicht reicht es später noch für einen Kaffee auf der Neuwarft. Zur Linken ragt die Amalienwarft in die Höhe. Hier besuchen die Halligkinder eine der kleinsten Schulen des Landes. Daneben ein Glockenstapel, der an die Entstehung der Hallig nach der sogenannten Burchardiflut im Oktober 1634 erinnern soll. Nordstrandischmoor gilt als jüngste der zehn Halligen. Aus der ehemaligen Insel Strand, die wiederum mal ein Küstenabschnitt mit dem zum Mythos gewordenen Hafenort Rungholt gewesen war, bildeten sich Nordstrand, Pellworm und Nordstrandischmoor.

Die Klimawarft

Auf der Amalienwarft lebt auch der Lehrer mit seiner Familie, und die Schule dient gleichzeitig als Kirche, da Nordstrandischmoor seit der Sturmflut von 1825 kein eigenes Kirchengebäude mehr besitzt. Vor ein paar Jahren wurde eine neue Lehrer:in gesucht, die besondere Anzeige fand größeres Medienecho, sollte der oder die Bewerber:in doch „sich selbst ertragen können“. Und die Einsamkeit. Das „Eingesperrtsein“ bei Landunter. Ich gehe weiter, vorbei an der Halberwegwarft, deren Haus nebst einem einzelnen Baum oder Strauch aus der Salzwiese emporragt.

Halligflieder blüht
Halberwegwarft und Norderwarft

Als ich die Norderwarft erreiche, sehe ich ein Stück des alten Ringwalls, der das Haus vor vorherigen Fluten schützte. Daneben die Klimawarft, breiter und etwa einen Meter höher als der Rest. Ein flächiger Hügel aus 85.000 Tonnen Sand, der per Schiff hierher gebracht wurde, bedeckt mit Kleiboden von der Hallig. Hier wird gebaut, ein neues, vom Land gefördertes Wohnhaus wächst heran. Mit der Förderung sollen die Mehrkosten des Bauens auf einer Hallig abgedeckt werden. Das riesige Stallgebäude, ebenfalls on top, scheint bereits fertig zu sein. Schlagermusik weht zu mir hinüber, während ich dem Weg um die Klimawarft ein Stück folge.

Dann muss ich zur Seite hüpfen: Ein Trecker, beladen mit Ausflüglern, rattert an mir vorbei. Ich erkenne meine Sitznachbarsfamilie, winke. Und schaue auf die Uhr. Der Traktor mit dem Anhänger voller Gäste wird gleich wenden und gewiss vor mir zurück am Anleger sein. Leider muss ich jetzt flotten Schrittes den Rückweg antreten. Dabei passt so etwas wie Hektik gar nicht zum Halligleben.

Am Ende muss ich rennen und schaffe es auf den letzten Drücker. Hinter mir noch eine Familie, ebenfalls abgehetzt. Während wir ablegen, grüble ich, was gewesen wäre, wenn… Hätte man mir ein Zelt zum Übernachten zur Verfügung gestellt? Auf der Salzwiese? Allein unter Schafen. Wahrscheinlich ist die Hallig dann doch zu übersichtlich, als dass sie hier jemanden vergessen.

Das lila Wunder wird immer kleiner, während wir eine Seehundbank irgendwo vor Westerhever ansteuern. Mein Magen knurrt, aber es gibt genug zu futtern an Bord. Irgendwann komme ich zurück nach Lüttmoor. Demnächst geht es erst mal per Schiff zur größten Hallig Nordfrieslands, für ein Wochenende auf Langeneß.

Text und Fotos: Elke Weiler

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